Baukulturwerkstatt Mai 2014

Planungskultur und Prozessqualität

© Till Budde für die Bundesstiftung Baukultur
Außenansicht Akademie der Künste

Die dritte Werkstatt der Bundesstiftung Baukultur zu Planungskultur bei Bauvorhaben bemängelt den fehlenden Willen, Projekte gemeinsam anzugehen und zu steuern. „Sobald Probleme bei Bauvorhaben auftreten, heißt es entweder ‚wir sind nicht zuständig' oder es gibt die Haltung des Nichtwahrhabenwollens realer bzw. steigender Kosten“, kritisiert Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur. „Die Planungskultur bei Bauvorhaben ist aktuell stark verbesserungswürdig, und die Ergebnisse der Baukulturwerkstatt sagen eindeutig: Wir brauchen eine sogenannte ,Phase Null‘, also die Planung der Planung, um die Bürgerbeteiligung sowie gemeinsame Entscheidungen zwischen Bauherren, Architekten, Ingenieuren und ausführendem Gewerbe erfolgreich zum Ziel zu führen. Und wir brauchen eine ,Phase Zehn‘, um das Gebäude im Gebrauch nachträglich zu optimieren.“

Rund 300 Planer aus verschiedenen Fachdisziplinen, Vertreter von Kommunen und Verbänden sowie die interessierte Öffentlichkeit besuchen die dritte Baukulturwerkstatt der Bundesstiftung Baukultur in der Berliner Akademie der Künste. Um über das Thema „Planungskultur und Prozessqualität“ zu diskutieren, bilden umstrittene Großprojekte wie Stuttgart21, die Elbphilharmonie und der Flughafen BER den Ausgangspunkt. Auch das Votum über die Zukunft des Tempelhofer Felds ist Teil der Debatte.

Im Mittelpunkt stehen sowohl die „Phase Null“ – die Planung der Planung – als auch Bürgerbeteiligung, Gestaltungsbeiräte, Liegenschaftspolitik und Vergabeverfahren. Außerdem werden die Risiken des Experiments sowie die Rolle der Planer diskutiert, die sich ausufernden Normen und einer zunehmend von Fachfremden dominierten Branche gegenübersehen. Der ideale, weil für sich selbst bauende Bauherr sei in heutigen Zeiten eine Ausnahme. Als Beispiel sei das Unternehmen Daimler mit dem Mercedes-Benz Museum genannt. Häuser würden zunehmend als Rendite- statt als Identifikationsobjekt gesehen, während das Bauen zunehmend von Juristen, Betriebswirtschaftlern und Verwaltungsfachleuten dominiert sei, wie Heiner Farwick, Präsident des Bund Deutscher Architekten, feststellt. Auch deshalb sei die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Architekten und Bauherren sowie Projektsteuerern kaum noch möglich.

Der Architekt Volker Staab stimmt dieser Erkenntnis zu: Die ansteigende Anzahl von Beanstandungen bei Bauprojekten sei eine Folge der „grauenhaften“ Bürokratisierung des Bauens. Ein „Wahn der Normierung“ und der Wunsch, sich nach allen Seiten abzusichern, verkomplizierten das Bauen. Mike Schlaich, der sich „als Bauingenieur der Baukultur verpflichtet“ fühlt, beschreibt anhand der preisgekrönten Gänsebachtalbrücke auf der ICE-Neubaustrecke Halle-Erfurt, wie persönliches Verantwortungsgefühl und der Mut zum Experiment verlorengingen, während Planer sich auf der Suche nach Innovationen auf erhebliche Risiken einließen: Um sich mit einer gestalterisch und technisch neuartigen Lösung gegen den Verwaltungsentwurf der Deutschen Bahn durchzusetzen, sei nicht nur eine ebenso günstige Preiskalkulation erforderlich gewesen. Darüber hinaus seien sogar unter eigener Verantwortung und mit privaten Kosten diverse Zulassungen im Einzelfall einzuholen gewesen. Kleinere Büros wären hier in ihrer Existenz bedroht gewesen. Zudem hätten die stark abgemagerten Verwaltungen viele Gestaltungsspielräume aus der Hand gegeben. Somit verabschiedeten sie sich insbesondere von einer aktiven Liegenschaftspolitik als Instrument der Stadtplanung und verzichteten damit auf viele Vorteile wie Bodenvorratspolitik, Zwischenerwerb, Grundstückstausche, Erbpachtmodelle, Zwischennutzungen oder nutzungsspezifische Auflagen. Liegenschaften an Höchstbietende zu verkaufen, oft ohne Auflagen, müsse aufhören und sei im Sinne eines öffentlichen Auftrags unverantwortlich, lamentiert die Wolfsburger Stadtbaurätin Monika Thomas. Hinzu komme das große Problem, bei Ausschreibungen immer das wirtschaftlichste Angebot wählen zu müssen. Das verführe zu Unehrlichkeit bei der Kalkulation und späteren Nachträgen. „In der Schweiz wird das billigste Angebot gestrichen, um Preisdrückerei auszuschließen“, so Barbara Ettinger-Brinckmann , Präsidentin der Bundesarchitektenkammer. Als Modell für eine Planungskultur mit maßgeschneidertem Verfahren von Beteiligung und Vergabe habe sich die Stadt Wolfsburg entwickelt. Dort würden etwa Schulsanierungen nur nach Vorlage eines pädagogischen Konzepts genehmigt, Privatinvestoren zu bestimmten Planungszielen verpflichtet, bevor sie überhaupt einen Zuschlag erhielten, oder Bürgergutachten in die Entscheidungen von Wettbewerbsjuries einfließen. Den Kostenaufwand für Beteiligungsverfahren beziffert Monika Thomas auf weniger als 1% der Bausumme, bei Großprojekten sogar nur auf 0,1%. Der von Brigitte Holz vorgestellte Kulturcampus in Frankfurt am Main verdeutlicht die Möglichkeiten einer Planung, die nach zehn Jahren von vorne beginnt. Statt städtischer Lebendigkeit auf dem alten Campus der Universität hätten immer mehr Akteure einen weiteren Bürostandort befürchtet. Allerdings gebe es nach Einbeziehung von Bürgerinitiativen nun einen breit getragenen Konsensplan mit den Schwerpunkten Wohnen, Kultur sowie dem Erhalt von Bestandsgebäuden. „Bürger sind bei städtebaulichen Planungen die Bauherren“, so Susanne Ritter, Leiterin der Münchner Stadtplanung. In diesem Sinne sei bereits ein Jahr vor dem Wettbewerb zu einem Bebauungsplan für die Bayernkaserne in einer Bürgerwerkstatt über dessen Zielsetzungen diskutiert worden. Der Wunsch der Teilnehmer sei ein städtischer Ort mit einer höheren Bebauungsdichte gewesen, als ursprünglich von der Stadt vorgesehen.

Das Fazit der Baukulturwerkstatt lautet: 1. Wünschenswert sind weniger Regeln und Normen bei der Gestaltung, statt dessen aber eine größere gemeinsame Verantwortung bei Politik, Planern, Architekten und Ingenieuren; 2. Die öffentliche Hand und die Baumanager benötigen mehr fachkompetentes Personal, um die Rolle als aktiver Projektleiter einnehmen zu können; 3. Um Voruntersuchungen durchzuführen, Rahmenbedingungen zu klären und die Bürgerbeteiligung einzubinden, benötigt der gesamte Planungsprozess eine auf ein Minimum reglementierte „Phase Null“. Darüber hinaus soll eine „Phase Zehn“ zur Evaluation im Gebrauch geschaffen werden: „Wenn die Menschen das Gebäude bereits nutzen, muss noch nachgesteuert werden können. Leider wird dieser Prozessbaustein allzu oft ausgeklammert“, schließt Reiner Nagel die dritte Baukulturwerkstatt des Stiftungsprogramms 2014 „Gebaute Lebensräume der Zukunft: Fokus Stadt“.

Programm

Freitag 23. Mai 2014, 20–23 Uhr        
Offener Empfang
schönwetter* café.bar.club. Bernauer Straße 63, Berlin (Mauerpark)

Samstag 24. Mai 2014
Werkstatt 3 Planungskultur
Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin

09 Uhr
Einlass und Akkreditierung   


10 Uhr 
Begrüßung
Prof. Dr. h. c. Wilfried Wang, Akademie der Künste; Gunther Adler, Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit und Stiftungsratsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender Bundesstiftung Baukultur

10.15 Uhr
Baukultur-Barometer und Elbphilharmonie, BER, Stuttgart 21 – Großprojekte als Denkanstöße zum Thema Prozessqualität, Reiner Nagel

Eröffnungsdiskussion
Heiner Farwick, Präsident BDA
Barbara Ettinger-Brinckmann, Präsidentin BAK
Monika Thomas, Deutscher Städtetag
Moderation: Prof. Dr. Falk Jaeger

11–12.30 Uhr    
Projektvorstellungen / Teil 1

Bausteine Prozesskultur                            
P01 Modell Wolfsburg: Phase 0 und Planungskultur auf kommunaler Ebene; Monika Thomas, Stadtbaurätin Stadt Wolfsburg
P02 Kulturcampus Frankfurt – Stadtplanung im Dialog; Brigitte Holz, Freischlad + Holz / Herwarth + Holz                            
P03 Kommunale Liegenschaftspolitik und Auswirkungen auf die Baukultur? Dr.-Ing. Egbert Dransfeld, Institut für Bodenmanagement, Dortmund
P04 Leitlinien für leistungsfähige Schulbauten in Deutschland; Dirk Haas, REFLEX architects _ urbanists
P05 Planungsprozess und Partizipation am Beispiel der ehemaligen Bayernkaserne in München; Susanne Ritter, Leiterin Stadtplanung München
P06 Gestaltungsbeirat – Beispiel Regensburg; Carola Schäfers, CSA Architekten BDA

12.30–13.30      
Lunch

13.30–14.15
Projektvorstellungen / Teil 2

P07 Gänsebachtalbrücke – Der Prozess; Prof. Dr. sc. techn. Mike Schlaich, TU Berlin, schlaich bergermann und partner – Beratende Ingenieure im Bauwesen
P08 Das Mercedes-Benz Museum – Planen für einen kompetenten Auftraggeber; Prof. Tobias Wallisser, damals UNStudio, heute LAVA Laboratory for Visionary Architecture
P09 Wer trägt Risiken für Experimente? Prof. Volker Staab, Staab Architekten GmbH

14.15–15.45 Uhr
Werkstatt-Diskussionen mit den Referenten

1: Phase Null (P01–P03)
Auswirkungen des Planungsvorlaufs auf die Projekte
Moderation: Frauke Burgdorff, Vorständin der Montag Stiftung Urbane Räume                          

2: Qualität (P04–P06)
Verfahrensbausteine für qualitätvolle Umsetzungen
Moderation: Dr. Thomas Welter, Bundesgeschäftsführer BDA

3: Innovation (P07–P09)
Experiment und Risiko – die Rolle von Planern und Bauherren
Moderation: Prof. Dr. Falk Jaeger

15.45–16.15 Uhr
Pause

16.15–17.00 Uhr
Bericht aus den Werkstätten
Moderatoren und KommentatorenFrauke Burgdorff, Dr. Thomas Welter, Prof. Dr. Falk Jaeger, Dr. Anne Schmedding                         

Lessons Learned, Reiner Nagel


Hauptmoderation: Kathrin Erdmann, NDR

Dokumentation

Impressionen

Video der Veranstaltung


 

Baukulturwerkstätten

Planungskultur und Prozessqualität

Veranstalter

Bundesstiftung Baukultur

Termin

23.05.2014 – 24.05.2014

Ort

Akademie der Künste
Hanseatenweg 10
10557 Berlin
Deutschland

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