| Umbaukultur

Stephan Schütz, gmp: „UMBAU. NONSTOP TRANSFORMATION“

© Kristin Baumert

„Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass sich alles verändert.“ Dieser Schlüsselsatz aus dem Roman „Der Leopard“ von Lampedusa beschreibt das Spannungsfeld, in dem wir uns bei Sanierungsaufgaben bewegen: Am Bestehenden festzuhalten bedingt in der Regel transformierende Eingriffe, die auf veränderte gesellschaftliche, ökonomische und ökologische Bedingungen zurückgehen.

Der Umbau stellt uns vor ein komplexes und anspruchsvolles Aufgabenspektrum, das tiefgreifendes Fachwissen erfordert, ohne welches derartige Aufgaben unweigerlich in Kosten- und Terminabenteuern enden.

Für jeden Umbau ist die Wertschätzung dessen, was andere einmal erschaffen haben, eine zentrale Voraussetzung. Diese bedeutet eine Abkehr von jedweder Wegwerfmentalität und stattdessen ein Bekenntnis zum Klima- und Ressourcenschutz.

Diese globalen Herausforderungen stellen sich uns in Deutschland und Europa genauso wie in China und Asien. Auch in Beijing oder Shanghai wird der Umbau mehr und mehr zum Normalfall beim Umgang mit der Bausubstanz der vergangenen Jahrzehnte.

Stephan Schütz, Dipl.-Ing. Architekt BDA
Executive Partner, gmp · Architekten von Gerkan, Marg und Partner



Im DAI-Magazin BAUKULTUR, das am 4. September erschienen ist, veröffentlichte die Bundesstiftung ihre Kolumne zum Thema "Aus Alt mach Neu – ob in Berlin oder Venedig!". Hier verwiesen wir auch auf unseren Besuch des „Salone Verde“ in Venedig, der von gmp Architects bespielt wird. Nachfolgend finden Sie den vollständigen Text. 

Mit dem Berliner Projekt „MarinaMarina“ zeigt die Bundesstiftung Baukultur im Baukulturbericht 2022/23 „Neue Umbaukultur“, wie auf einem schwierigen Terrain durch gelungene Umbaumaßnahmen ein beeindruckendes Kreativquartier entstehen kann.

Am Anfang standen Entdeckung, Improvisation und informelle Inbesitznahme. Inzwischen hat der Ort einen Namen: MarinaMarina ist ein Gemeinschaftsprojekt von Realace und SLOW in Berlin–Lichtenberg. Das Heizkraftwerk Klingenberg, das auch die künftige Gewerbenutzung vorgibt, dominiert das Areal direkt an der Spree. Neben seiner Vergangenheit als Flussbad Lichtenberg, hatte dort auch der Zoll der DDR seinen Verwaltungssitz.

Von Anfang an sollte das 22.000-Quadratmeter-Areal unter Wahrung des Naturraums sanft und Schritt für Schritt aus dem Bestand transformiert werden. Nach Plänen von Thomas Baecker Bettina Kraus Architekten wurden die Garagen zu Kunstateliers und Werkstätten ausgebaut. Die Spreestudios entstanden. Dann kam eine kleine urbane Marina ans Ufer – ein erstes Projekt von PETERSENARCHITEKTEN.

Der Plattenbau des DDR-Zolls wurde als Teil der Lokalgeschichte akzeptiert und umgebaut und aufgestockt, statt abgerissen. Die Substanz war, laut Architekt Ralf Petersen, einfach zu gut. Zudem wäre ein Neubau gleicher Größe viel teurer geworden. Petersen ließ lediglich die Brüstungsfelder ausbauen und hinter die stark profilierten Fassadenelemente neue Glasfronten setzen. Das Dach des Plattenbaus wies so große Lastreserven auf, dass es kein Problem war, das Haus mit Stahlbaurahmen zweigeschossig aufzustocken. Petersen ließ sich von den kieloben am Ufer liegenden Booten zu dem ungewöhnlichen Aufbau mit steilen Dachschrägen zu allen Seiten und flacher Ziegelabdeckung inspirieren. Flächig eingesetzte, unterschiedlich kombinierte Fensterelemente beleben die Dachfassaden. Die Räume dahinter haben Rohbauatmosphäre.

Die außergewöhnliche Anordnung ihrer Fenster sorgt dafür, dass Nutzerinnen und Nutzer überall den Ausblick genießen können – ob sie auf einer niedrigen Couch Platz nehmen, am Schreibtisch sitzen oder gar an einem Pult stehen. Außerdem wird jeder denkbare Arbeitsplatz optimal mit Tageslicht versorgt. Statt Dachspitz bietet die Platte ein rundum geschütztes, großes Holzdeck mit fantastischem Rundblick. Das Erdgeschoss hat selbstverständlich auch eine Sonnenterrasse zum Fluss erhalten. Das Projekt zeigt, wie inspirierend selbst Plattenbauten für eine unverwechselbare, nachhaltige Quartiersentwicklung sein können, die die Geschichte des Orts fortschreibt.

Einen weiteren tollen Umbau, bei dem auch die Geschichte des Orts fortgeschrieben wurde, durften wir kürzlich in Venedig besuchen. Der „Salone Verde“, ebenfalls von PETERSENARCHITEKTEN entworfen, wird aktuell von gmp Architects bespielt. In der Ausstellung „UMBAU. Nonstop transformation“ in Venedig stellt gmp sieben von über sechzig Umbauprojekten als konkrete Fallbeispiele vor.

Der Salone Verde ist ein Raum in Venedig, der aus zwei geschlossenen Gebäuden besteht, die an einen offenen Innenhof grenzen. Es ist gut möglich, dass diese Gebäude ursprünglich zu einem viel größeren venezianischen Palast gehörten, der erstmals 1292 in venezianischen Aufzeichnungen erwähnt wurde.

Obwohl die deutschen Handwerker den Abriss für unausweichlich hielten, konnten die historischen Bauten von venezianischen Handwerkern repariert, verstärkt und dort ersetzt, werden wo es unvermeidlich war. Auf diese Weise konnte der Rohzustand innen und außen erhalten werden. Bauliche Eingriffe sind allein an den Fenster- und Türprofilen zu erkennen: Es handelt sich um schlanke Profile aus gekantetem Stahl mit hoher Stabilität, geringen Materialkosten und langer Lebensdauer.

Wo früher der "Salone" eines Palazzos war, befindet sich jetzt ein offener Innenhof. Die Stockwerke des Palazzos sind verschwunden und mit ihnen der Salone. An seine Stelle tritt ein neuer Ort, an dem Menschen zusammenkommen werden - zum Reden und Arbeiten, für Ausstellungen, Musik und Tanz. Dieser Ort soll grün werden wie ein Garten. So wird aus dem "Salone" der Vergangenheit der "Salone Verde" der Zukunft.

(bearbeitet am 20.11.2023)

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