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Baukultürchen zum 24. Dezember: Weihnachtsgruß von Reiner Nagel

Am 24. Dezember 1987, also vor 33 Jahren, grüßt ein schnell gemachtes Graffiti auf der Berliner Mauer direkt am heutigen Potsdamer Platz zu Weihnachten. Das Foto, das ich damals aufnahm, passt für mich gut zur Stimmung des Jahres 2020. Die unruhigen Linien aus Coronameldungen, Absagen, Vorsicht und Mitgefühl, verschobenen Treffen oder Neuorientierung, werden für die Vorbeigehenden wie mit einem vorläufigen Schlusspunkt überschrieben: „ein schönes Weihnachten“ – in warmen Farben mit Tannenbaum und Kugeln. Das hat etwas Beruhigendes und ist natürlich eine, in den damaligen Grenzstreifen hineinwirkende Botschaft im öffentlichen Raum. 

Mit Abstand betrachtet ist das Motiv aber auch ein Symbol für Bestand und Vergänglichkeit und die Gesetzmäßigkeit ständigen Wandels, die unsere baukulturelle Kompetenz brauchen. Nachdem kaum zwei Jahre später am 9. November 1989 die Mauer fiel, wurde die Neugestaltung des Potsdamer Platzes zum ambitioniertesten Planungs- und Bauvorhaben der Nachwendezeit. An ihm machten sich eine Städtebaudebatte und Wettbewerbe fest, die über Geschichte, Körnung, Mischung, Architekturqualität, öffentliche Räume oder Erdgeschosse das richtige Maß für diesen Ort suchten. Im Spagat zwischen der internationalen Metropole mit Stararchitektur und dem Alltagskiez für lebendige Nachbarschaften ist eher ein zentraler und touristischer Ort entstanden. So gibt es hier heute zwar Mauerteile als Gedenkorte, von ihnen geht aber naturgemäß keine augenzwinkernde Alltagsbotschaft mehr aus. 

Baukultur geht lange und manchmal unvorhersehbare Wege. So ist es bei aller welt- und gesellschaftspolitischen Tragweite, der hinter dem Transformationsprozess am Potsdamer Platz stehenden Dynamiken beachtlich, wie die unterschiedlichen öffentliche Räume aussehen. Neben den überdachten Sonderflächen des Sony Centers und der Potsdamer Platz Arkaden sind die Erschließungsflächen im Außenraum als Straßen, Wege, Plätze oder Grünflächen eher traditionell gelöst und sorgfältig ausgeformt. Das erleichtert heute die Orientierung und Alltagsnutzung. 

Vor etwa acht Jahren wurde aus den Ausgleichmitteln der Bebauung am Potsdamer Platz der Park am Gleisdreieck im Süden des Gebiets fertiggestellt und damit der Schlussstein der Gesamtentwicklung. Auch hier das Ergebnis eines Planungswettbewerbs und Gegenstand einer breiten stadtpolitischen Diskussion. Entstanden ist nicht nur ein mehrfach ausgezeichneter, beliebter und hochfrequentierter Berliner Park, sondern ein lässiger Ort, bei dem sich heute, am 24. Dezember 2020 niemand wundern würde, wenn plötzlich ein fröhlicher Graffiti-Gruß, wie der vom Potsdamer Platz 1987 am Wege liegt: „ein schönes Weihnachten“, bleiben Sie gesund, zufrieden, aktiv und der Baukultur verbunden,

Ihr Reiner Nagel 

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