Konvent der Baukultur fordert Entschleunigung und bessere Vernetzung des Verkehrs

350 führende Architekten, Planer und Ingenieure beschließen „Hamburger Appell“ – konkreter Arbeitsauftrag an Politik und Bauwirtschaft


Deutschland hat bei Verkehrsplanung und Verkehrsbaukultur erheblichen Nachholbedarf – das ist das Fazit des „Hamburger Appell für mehr Baukultur in der städtischen Verkehrsinfrastruktur“, den renommierte Architekten, Planer, Ingenieure und Politiker heute zum Abschluss des zweitägigen Konvents der Baukultur K-2012 in Hamburg einstimmig an die politischen Entscheidungsträger gerichtet haben. Dabei nimmt sich die Zunft auch selbst in die Pflicht. Es fehle vor allem an ganzheitlichen Ansätzen der Verkehrsplanung, einer kreativen Verknüpfung der verschiedenen Verkehrsträger sowie an Möglichkeiten für Bürger, in Entscheidungsprozesse frühzeitig eingebunden zu werden.


„Die breite Zustimmung der Berufenen des Konvents zum Hamburger Appell ist eine klare Botschaft an die Verantwortlichen, dass neue Ansätze in der Verkehrsplanung in Deutschland erforderlich sind“, erklärte Michael Braum, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur, die den Konvent im Rhythmus von zwei Jahren organisiert. „Wir müssen stärker die Interessen der Bürger in den Vordergrund stellen. Der Appell liefert dafür eine gute Grundlage.“


Neun Forderungen stellen die Konventsberufenen an die Politik und die eigene Zunft. Konkret fordert der Konvent, den Verkehr zu entschleunigen, so dass die Interessen aller Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt berücksichtigt werden können. Einzelne Verkehrsträger wie Auto, Bahn, Fahrrad oder Fußverkehr müssten so vernetzt werden, dass sie einfach zugänglich und attraktiv sind. Ein umfassendes öffentliches Nahverkehrsangebot sei dafür eine Grundvoraussetzung. Auf behördlicher Ebene müsse das Fachpersonal stärker interdisziplinär agieren und Ausschreibungsverfahren sollten übergreifend gestaltet werden. Die Aus- und Fortbildung von Ingenieuren, Architekten, Stadt- und Landschaftsplanern müssten ebenfalls interdisziplinär angelegt sein. Nur so könne eine fachübergreifende Qualität sichergestellt werden.


Effizienter Einsatz der Finanzmittel


Die Finanzmittel gelte es zielorientiert und transparent zwischen öffentlichem Nahverkehr, Radfahrern, Fußgängern und Autos zu verteilen und gleichzeitig neue Einnahmen zu generieren. Konkret fordert der Konvent, die erzielten Einnahmen für Verkehrsprojekte einzusetzen, um Mobilität nachhaltig und emissionsarm zu gewährleisten. Vielfach seien Verkehrssysteme losgelöst vom jeweiligen städtischen Umfeld geplant und berücksichtigen nicht dessen konkrete Anforderungen. „Verkehrsinfrastrukturen müssen als Räume mit urbaner Qualität entworfen werden“, so der Hamburger Appell.


Ein weiteres entscheidendes Merkmal der Verkehrsplanung sollte eine rechtzeitige Einbeziehung der Bürger sein, um so mehr Lebensqualität zu gewährleisten. Partizipation sei gefragt – genauso wie ein Zusammenwirken von Gesellschaft, Politik und Verwaltung während des gesamten Planungsprozesses.


Anregungen dafür bieten die europäischen Nachbarländer. Insofern diskutierten die Teilnehmer des Konvents mit Planern aus Luxemburg, den Niederlanden und Dänemark internationale Projekte, die sich auf Deutschland übertragen lassen. Als innovatives Konzept gelten „shared spaces“, in denen Fußgänger, Fahrradfahrer und Autos die Straße gemeinsam nutzen. Für den Rückbau der autogerechten Stadt liefert der Sønder Boulevard in Kopenhagen interessante Anregungen: anschaulich zeigt er, wie eine ehemals auf den Autoverkehr ausgerichtete Straße durch einen erweiterten Mittelstreifen mit Spiel- und Grünflächen ein Plus an Qualität sicherstellen kann.


Der zweitätige Konvent begann mit zwölf Kunstinterventionen der AKTION_BAUKULTUR, die in der ganzen Republik stattfanden und sich konkret mit Schwachstellen der Verkehrsplanung auseinandersetzten. In der Konventsstadt Hamburg nahmen die rund 350 Teilnehmer an zwei Stadtspaziergängen, so genannten baukulTouren, teil. Bertram Weisshaar und Uwe A. Carstensen führten durch das Hamburger Bahnhofquartier und diskutierten an rund neun Stationen mit Anwohnern, Experten und Bürgerinitiativen. Die Tour endete mit einer Podiumsdiskussion auf dem Messberg mit Amelie Deuflhard (Kampnagel, Hamburg), Michael Sachs (Staatsrat, Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Freie und Hansestadt Hamburg) sowie Michael Braum.


Die Kunstaktionen werden in einer Ausstellung am Stiftungssitz ab Juli 2012 dokumentiert.



Bild: Michael Braum, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur spricht auf dem Konvent der Baukultur 2012 in Hamburg | © Kai Müllenhoff für die Bundesstiftung Baukultur

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