Wasserbau ist die Wurzel unseres Siedlungswesens und des Städtebaus. Infrastruktur und Hochwasserschutz sind zentrale Elemente unserer Daseinsvorsorge. Jahrzehntelange Versuche, Wasser zu bezwingen und in vorbestimmte Bahnen zu verlegen, haben sich vielerorts als kontraproduktiv erwiesen. Nicht zuletzt die Herausforderungen des Klimawandels, wie Starkregenereignisse oder Hitze- und Trockenperioden, machen einen bewussten und neuen Umgang mit Wasser in Stadt und Land erforderlich. Es geht darum, das Leben an und mit dem Wasser neu zu denken und zu gestalten, eine positive Haltung gegenüber Wasser zu entwickeln.
Welche Gestaltungsmöglichkeiten in diesen infrastrukturellen Wasserbau-Aufgaben liegen und wie das konkret aussehen kann, war Thema der Baukulturwerkstatt „Wasserbau“, zu der die Bundesstiftung Baukultur und die HafenCity nach Hamburg eingeladen hatten. Mehr als 120 Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Disziplinen – Wasserbau-Ingenieurswesen, Architektur, Landschaftsarchitektur und Stadtentwicklung - diskutierten am 23. und 24. Februar 2023, wie gestalterische Elemente der Architektur und Landschaftsarchitektur mit den Anforderungen an Statik und Ingenieursbau zusammengedacht werden können.
Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur resümiert: „Bei der Vorbereitung für die Baukulturwerkstatt zum Thema Wasserbau wurde schnell klar, dass wir interdisziplinär denken müssen. Gute Infrastrukturen im Sinne einer Baukultur braucht beides: Gestalterischen Anspruch und Ingenieursbaukunst.“
Die Baukulturwerkstätten sind das zentrale Veranstaltungsformat der Bundesstiftung. Mit Impulsvorträgen und beispielgebenden Projekten bietet die Stiftung eine Plattform, auf der übertragbare Lösungsansätze vermittelt und an den sogenannten Werkstatttischen diskutiert werden. Die Ergebnisse der Baukulturwerkstätten 2023 fließen in den neuen Baukulturbericht 2024/25 ein.
Über 100 Jahre öffentlicher Hochwasserschutz & HafenCity
Den Auftakt der Baukulturwerkstatt bildete eine Fachexkursion. Dr. Olaf Müller, Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer Hamburg, Leitung Gewässer und Hochwasserschutz nahm uns mit auf die Reise zu über 100 Jahre öffentlichem Hochwasserschutz. Zu den prominentesten Beispielen der Exkursion zählten sicherlich die Landungsbrücken sowie die Treppenanlage, die nach dem Entwurf der Architektin Zaha Hadid gestaltet ist. Über die Jan-Fedder-Promenade ging es weiter in die Speicherstadt und zur HafenCity. Jürgen Rux, Senior Projektmanager HafenCity Hamburg GmbH, erläuterte, wie der Sprung über die Elbe und der Wohnungsbau im ehemaligen Hafengebiet durch das Konzept des Warftgeschoss erst möglich wurde.
Blick nach Kopenhagen: Leben an und mit dem Wasser
Wie gut es sich mit und am Wasser leben lässt, damit beeindruckte uns Lykke Leonardsen in ihrer Keynote. Die Programmdirektorin “Resilient and Sustainable City Solutions” von Kopenhagen zeigte, wie sich die dänische Hauptstadt in den letzten zehn Jahren gewandelt und verändert hat. Aufgrund der Starkregenereignissen in 2012, hatte in Kopenhagen ein Umdenken eingesetzt. Heute bieten neue Wasserbau-Infrastrukturen sowohl Schutz vor Hochwasser und schaffen u.a. durch Parkanlagen gleichzeitig einen Mehrwert im öffentlichen Bereich. Dr. Olaf Müller nahm den Ball der Vorrednerin auf und gab Einblicke in die wasserbewusste Stadtentwicklung von Hamburg. Der Verantwortliche für Gewässer und Hochwasserschutz in Hamburg stellte aktuelle Projekte vor und erläuterte die Anforderungen aus Sicht des Ingenieurswesen.
Werkstatttisch 1 „Stadtentwicklung und Wasser“
An Werkstatttisch 1 wurden die Teilnehmenden mit der Aussage „Probleme in Parks verwandeln“ herausgeforderte, verschiedene Ideen und Konzepte für die Stadtentwicklung zu diskutieren und zu entwickeln. Impulse dafür lieferte u.a. das Projekt RISA – RegenInfraStrukturAnpassung aus Hamburg. Die Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA) in Hamburg und HAMBURG WASSER arbeiteten gemeinsam an Konzepten für die Nutzung und den Umgang mit Regenwasser. Die Initiative wurde bereits in 2009 gestartet und bis 2015 erfolgreich abgeschlossen. Die Projekte sind in unterschiedlichen Bereichen angesiedelt, so entstand im Hamburger Stadtteil Neugraben-Fischbek im Oktober 2013 Deutschlands erster Regenspielplatz. In Zusammenarbeit mit der SAGA GWG und der HCU wurde bei der Erschließung des Wohngebietes „Am Weißenberge“ gleich zu Beginn das Regenmanagement mitgedacht. Im Rahmen des Projekts wurde u.a. in der Mitte des Quartiers ein öffentlich zugänglicher Park mit Regenrückhaltebecken realisiert.
Weitere Beispiele gab es durch den kooperativen Forschungsverband LILAS (Lineare Infrastrukturlandschaften im Wandel), der mögliche zukunftsfähige Transformationen linearer Infrastrukturen erforscht. Mit dem Ziel, den Stadtraum klimaangepasster zu gestalten und die Empfindlichkeit gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels zu reduzieren, wird insbesondere monofunktionale graue und blaue Infrastruktur betrachtet. Neben den Umgestaltungspotentialen von Stadtstraßen werden auch Möglichkeiten für urbane und kanalisierte Gewässer untersucht.
Inhaltliche Paten und Impulsgeberinnen von Werkstatttisch 1 waren Prof. Antje Stokman, Landschaftsarchitektin und Professorin an der HCU Hamburg und Dr. Friedrich Hetzel, Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V., Hennef sowie Christian Günner, Experte für Regenwassermanagement, ehemals bei Hamburg Wasser.
Werkstatttisch 2 „Städte – klimagerecht und schön“
Wasser in der Stadt als gestalterisches und spielerisches Element zu nutzen, damit setzte sich die Diskussionsrunde an dem Werkstatttisch 2 auseinander. Gute Beispiele, wie Städte klimagerecht und schön gestaltet werden können, gab es durch das Industriedenkmal Wasserkunst Kaltehofe in Hamburg. Kaltehofe liegt auf einer ca. 60 ha großen, künstlich angelegten Elbinsel. Einst als Sandfiltrationsanlage geplant, wurde die Wasserkunst Kaltehofe im Jahr 1893 in Betrieb genommen, im Jahr 1990 stillgelegt und in den Jahren 2008 bis 2011 das heutige Nutzungskonzept erstellt und umgesetzt. Heute steht das Industriedenkmal für eine hohe räumliche und gestalterische Qualität von Ingenieurbauten– selbst über das Ende des eigentlichen Verwendungszwecks hinaus.
Wie Wasserarchitektur auch als „Seele urbaner Räume“ verstanden werden kann, wurde anhand von verschiedenen Beispielen vorgestellt, denn sowohl künstlerische Objekte wie Brunnen und Wasserspiele als auch natürliche Gewässer im Stadtraum sorgen für eine Verbesserung des Städteklimas.
Inhaltliche Paten und Impulsgeberinnen des Werkstatttisch 2 waren Dr. Katrin Korth, Korth StadtRaumStrategien, Henrike Wehberg-Krafft, WES LandschaftsArchitektur, Hamburg und Ulf Jacob, Deutsche Bundesstiftung Umwelt, Osnabrück.
Werkstatttisch 3 „Infrastruktur und Lebensqualität“
An Werkstatttisch 3 wurden die Projekte der Warft Treuberg auf der Hallig Langeneß und die Hochwasserschutzanlage in Grimma vorgestellt. Anhand der Beispiele diskutierten die Teilnehmenden, wie Infrastruktur und Lebensqualität zusammengedacht werden kann. Bei beiden Projekten hat die Infrastruktur existentielle Bedeutung für die Bewohner, gleichzeitig wünschten sie sich, dass die technische Maßnahme mit Gestaltungsqualität verbunden ist. „Wir waren uns zunächst gar nicht bewusst, dass wir mit dem Warftprojekt auch eine infrastrukturelle Aufgabe zu lösen hatten“, so der Projektverantwortliche. In Grimma arbeiteten Verantwortliche für den Hochwasserschutz und der Denkmalpflege zusammen, mit gelungenem Ergebnis: heute fügt sich die Schutzanlage in das Stadtbild Grimmas ein und verbindet die schützenswerte, historische Bausubstanz harmonisch mit den technischen Vorrichtungen. Dafür wurde das Projekt in 2022 mit dem Sächsischen Staatspreis Baukultur ausgezeichnet und steht beispielhaft für die behutsame integrierende Planung einer standortbedingten komplexen Aufgabe.
Inhaltliche Paten von Werkstatttisch 3 waren Jannes Wurps, blrm Architekt*innen, Hamburg und Prof. Thomas Will, TU Dresden, Denkmalpflege und Entwerfen.