Handlungsempfehlungen

Fazit

Kernbotschaften des Baukulturberichts 2022/23

Umbau zum neuen Leitbild machen!
Vielfältig nutzbare Orte, eine belastbare Infrastruktur und attraktive, klimagerechte Lebensräume müssen vorrangige Ziele kommender Planungen sein. In unseren Städten, Orten und Landschaften müssen bestehende Qualitäten erkannt und als Ausgangspunkt und Inspiration zur Weiterentwicklung nutzbar gemacht werden.

Innenstädte für Nutzungsvielfalt und Flexibilität umplanen!
Städte und Gemeinden brauchen im Zentrum eine ihrer Identität angemessene Funktionsmischung aus Einzelhandel, Gastronomie, Freizeitangeboten und Kultur, aber auch Wohnen, Bildung, Gewerbe, Produktion und soziale Angebote.

  • Die Vorgaben der TA Lärm des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und die Baugebietstypen der Baunutzungsverordnung sollten zugunsten einer sozialen und funktionalen Mischung überarbeitet werden.
  • Es gilt, konsumzwangfreie und für alle zugängliche Orte der Öffentlichkeit zu schaffen. Dafür bietet es sich an, Mobilität, Bildung und Kultur zu verknüpfen und aus der Funktion fallende Gebäude (wie Bahnhöfe, Kirchen, Kaufhäuser oder Shoppingmalls) zu aktivieren.
  • Innenstädte und Ortskerne sollten mittels langfristiger Strategien und anhand von nutzungsgemischten Leitbildern aktiv entwickelt und gemanagt werden.

Klimaanpassung mit Umbaukultur umsetzen!
Anpassungsmaßnahmen, die der Klimawandel erforderlich macht, müssen mit baukulturellen Anliegen verknüpft werden, um über die reine Notwendigkeit hinaus echten Mehrwert für die Gesellschaft zu generieren.

  • Die Renaturierung von Landschaften muss ebenso wie ihre Nutzung für Landwirtschaft und Energieerzeugung Gestaltungsaspekte berücksichtigen.
  • Zur Wahrung der Lebensqualität in den Städten sind Strategien zum Ausbau von Grün- und Wasserflächen und zur Steigerung der Biodiversität in die Planung öffentlicher Räume einzubetten.
  • Baukultur sollte verstärkt auch als Handlungsebene gesehen werden, um Belange der Klimaanpassung und des Artenschutzes in Stadtumbauvorhaben zu verankern.

Belastbare Infrastrukturen entwickeln!
Mobilitätswende und Klimaschutz erfordern umfangreiche Anpassungen einer Infrastruktur, die durch mangelnde Pflege und Wartung ohnehin an vielen Stellen in einem desolaten Zustand ist. Baukultur muss zur Richtschnur werden, um die anfallenden Aufgaben wirklich nachhaltig zu lösen.

  • Städte und Gemeinden sollten flexible Mobilitätskonzepte entwickeln, die alle Verkehrsteilnehmenden gleichwertig berücksichtigen, dabei aber den Fußverkehr als vulnerabelste Gruppe zum Maßstab für räumliche Planung machen.
  • Der Bund muss dem Sanierungsstau gerade im Bereich der Bahn- und Brückeninfrastruktur entgegenwirken und sich hierfür baukulturelle Belange nutzbar machen. Eine Finanzierbarkeit sollte vor allem auf Bestandsmaßnahmen fokussieren.
  • Zum Erreichen der Klimaschutzziele sollte eine kommunale Wärmeplanung mit dem Fokus auf einem Quartiersansatz bundesweit verpflichtend werden.

Paradigmenwechsel hin zur Umbaukultur einläuten!
Der Fokus von Politik, Verwaltung, Bauwirtschaft und Öffentlichkeit muss sich schon aus volkswirtschaftlichen und ökologischen Gründen vom Neubau zum Umbau verschieben. In diesem Paradigmenwechsel liegen echte Chancen für den Klima- und Ressourcenschutz, für ein neues Verständnis von Gestaltung und für Bauwerke, die auch für kommende Generationen noch wertvoll sind.


Bestand als Schlüssel zum Klimaschutz begreifen!
Entscheidend für den Klimaschutz ist nicht die Betriebsenergie, entscheidend sind die Emissionen, die bei Herstellung, Betrieb und Rückbau entstehen. Dem Bestand sollte also immer Vorrang vor dem Neubau gegeben werden, auch weil somit wertvolle Ressourcen erhalten werden.

  • Emissionseffizienz statt Energieeffizienz, also eine ökobilanzielle Betrachtung, muss in allen Verpflichtungs- und Anreizsystemen zum Maßstab werden.
  • Bereits im Bestand gebundene Rohstoffe, Energie und Emissionen sind möglichst zu erhalten. Abriss sollte zur Ausnahme und genehmigungspflichtig werden.
  • Um den Flächenverbrauch einzudämmen, sollten neue Siedlungsgebiete nur in letzter Konsequenz ausgewiesen werden. Der Vorrang der Innenentwicklung sollte noch konsequenter umgesetzt werden.

Goldene Energie nutzen!
Der Bestand ist nicht nur aufgrund der in ihm gespeicherten grauen Energie wertvoll, sondern auch aus immateriellen, kulturellen Gründen. Seinen Wert zu kennen und zu vermitteln, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die am Planen und Bauen Beteiligten müssen diese goldene Energie und die Potenziale einer neuen Gestaltungssprache im Umgang mit dem Bestand herausarbeiten.

  • Baukulturelle Bildung in Schulen, Ausbildung und Öffentlichkeit muss darauf zielen, die gesellschaftliche Wertschätzung auch des nicht denkmalgeschützten Bestands zu erhöhen.
  • Umbaukultur muss in Ausbildungsrahmenplänen und in der Hochschullehre stärker verankert werden.
  • Verantwortungsvolle Auftraggebende von Bauten handeln nach Prämissen der Suffizienz. Die Möglichkeiten des Bestands, nicht entgegenstehende Nutzungsvorstellungen, sollten richtungsweisend sein.

Umbaufähigkeit zur Grundlage machen!
Bauwerke sollten so geplant werden, dass spätere Nutzungsänderungen und Umbauten möglichst einfach umgesetzt werden können. Dabei entsteht langfristige Akzeptanz nur durch Qualität. Flexibilität und eine umbaufähige Bauweise, die dennoch in Gestaltung und Materialwahl auf Dauerhaftigkeit fokussiert, müssen Planungsprämissen werden.

  • Im Sinne späterer Flexibilität und Umnutzungsmöglichkeiten sollten bauordnungsrechtlich die Mindestraumhöhen vergrößert und schon im Bauantrag alternative Nutzungsoptionen nachgewiesen werden.
  • Klimaverträgliche, regionale und sortenrein rückbaubare Bauweisen sowie bedienungsfreundliche technische Einbauten müssen zum Standard im Bauwesen werden.
  • Für eine durch Langlebigkeit bedingte Nachhaltigkeit hat sich der Einsatz hochwertiger Materialien und guter Gestaltung bewährt. Dies sollte Grundlage jeder privaten, kommunalen und immobilienwirtschaftlichen Projektentwicklung bleiben oder werden.

Strukturen auf die neue Umbaukultur ausrichten!
Nach Jahrzehnten der Fokussierung auf den Neubau gilt es, bestehende Strukturen und Regelwerke aufzubrechen und im Sinne einer Umbaukultur neu auszurichten. Umfangreicher Anpassungsbedarf besteht bei den rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen genauso wie bei eingeübten Abläufen in Verwaltung und Baubranche.

Rahmenbedingungen anpassen!

Sowohl durch Anreizsysteme als auch durch Reglementierungen können Umbaumaßnahmen dem Neubau gegenüber an Bedeutung gewinnen. Die Prinzipien der Normierungs- und Zulassungsverfahren gehören auf den Prüfstand.

  • In Muster- und Länderbauordnungen müssen die Anforderungen an Brandschutz, Wärmeschutz, Schallschutz, Abstandsflächen, Barrierefreiheit und Stellplatzflächen stärker auf das Bauen im Bestand hin ausgerichtet werden.
  • Die Förderkulisse von Bund und Ländern muss vorrangig auf qualitätsvollen Bestandserhalt angelegt sein.
  • Die per Staatsvertrag festgeschriebene Pflicht zur ausgewogenen Besetzung der DIN-Ausschüsse muss gewährleistet werden. Die Erarbeitung von Normen sollte einem Kosten-, Gestaltungs- und Klimavorbehalt unterliegen und von entsprechend qualifizierten Expertinnen und Experten durchgeführt werden.

Verantwortung der öffentlichen Hand wahrnehmen!
Ökologische, soziale und baukulturelle Verantwortung sollte in den Kommunen gleichgestellt zu finanzieller Verantwortung wahrgenommen werden. Die öffentliche Hand sollte beispielhaft agieren und Umbauvorhaben konsequent fördern, beratend unterstützen und ermöglichen. Vergabekriterien sind im Sinne der Nachhaltigkeit und des Bestandserhalts anzupassen.

  • Allen größeren öffentlichen Bedarfsträgern ist die Einrichtung einer „Stabstelle Baukultur“ zu empfehlen.
  • In den Baubehörden sollte analog zum Denkmalschutz eine Interessensvertretung für den Bestand installiert werden, gemeinsam mit dem Wiederaufleben der Gestaltungsberatung und den Einrichtungen der Baupflege.
  • Preisverfahren und Wettbewerbe sollten gezielt Umbauprojekte adressieren und darauf hin ausgeschrieben werden.

Phase Null und Phase Zehn ins Zentrum stellen!
Die Bedarfsplanung und Vorprüfungen der Phase Null und die Maßnahmen der Phase Zehn, die Instandhaltung und Betrieb erleichtern, sind für eine Umbaukultur essenziell. Projekte müssen gut aufgesetzt sein, um Besonderheiten des Bestands zu berücksichtigen, spätere Pflege, Wartung und Umbauten mitzudenken und einen künftigen Abriss zu vermeiden.

  • Bestandsaufnahmen oder -analysen sollten in der Vorlaufphase regelmäßig durchgeführt und verstärkt gefördert werden.
  • Für Wartung und Betrieb ist eine Datengrundlage zu schaffen und kontinuierlich weiterzuführen. Die Erstellung von Materialpässen sollte gefördert werden.
  • Pflege- und Entwicklungskonzepte für komplexere Bauwerke müssen zum Standard werden.
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