Neue Wegeräume für die Stadt

© (c) André Leisner
Schwimmende Pontonbrücke über die Trave

Anlässlich des 20. Jubiläums des ArchitekturForumLübeck e.V. hat die Bundesstiftung Baukultur am 13. September den Baukulturdialog „Neue Wegeräume für die Stadt“ in Lübeck veranstaltet. Rund 100 Gäste folgten der Einladung in die Kulturwerft Gollan. Im Fokus stand die Eröffnung einer temporären Fußgänger- und Fahrradbrücke zwischen dem Stadtteil St. Lorenz und der Innenstadt. Diese Intervention diente als Anlass, über die Bedeutung räumlicher Kohäsion zu diskutieren und über die Möglichkeiten, neue Wegeräume für eine Stadt zu schaffen.

In seiner Begrüßung sagte Norbert Hochgürtel vom ArchitekturForumLübeck e.V., man sei erstaunt, verblüfft und hocherfreut, wie die Menschen in Lübeck das Angebot der temporären Pontonbrücke über die Trave angenommen hätten. Sie nutzten die schwimmende Brücke wie einen Trampfelpfad über die Wiese für Alltagswege, etwa zur Arbeit und zum Zahnarzt.

Joanna Hagen, Bausenatorin der Hansestadt Lübeck, dankte in ihrer Eröffnung dem Architekturforum Lübeck für sein Engagement für Baukultur in der Stadt. Baukultur habe in der Hansestadt eine große Bedeutung und werde regelmäßig diskutiert.

Jörn Simonsen und Anika Slawski vom ArchitekturForumLübeck e.V. erläuterten die räumliche Situation in Lübeck und stellten fest, es fehlten Verbindungen zwischen Orten. Neben der fehlenden Raumkonnektivität seien Qualität und Barrierefreiheit der Wege oft verbesserungswürdig. Es gebe jedoch auch Stadträume, die einlüden, zu flanieren. Das seien Stadträume, die sich am menschlichen Maßstab orientierten.

Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur, sagte, bei der Gestaltung öffentlicher Räume brauche es mehr Zusammendenken zwischen Disziplinen und Bereichen: Geteilte Verantwortung bedeute oft gar keine Verantwortung. Neue Mobilitätsformen seien ein Schlüssel für mehr Raumkonnektivität, dem Auto werde immer noch zu viel Raum eingeräumt. Als Belege für gewünschte Wegebeziehungen könne man sich an Trampelpfaden orientieren. Sie seien immer auch Beweise dafür, dass nicht gut geplant wurde. Mit Blick auf die temporäre Pontonbrücke in Lübeck sagte Nagel: „Wir brauchen Entwicklungspflege für die Stadt durch Interimsprojekte.“

Martin Rein-Cano, Creative Director Topotek 1, stellte das Projekt “Superkilen Kopenhagen” vor, bei dem es um die Bespielung öffentlichen Raums in einem kulturell durchmischten Viertel geht. Bei der Wahl der Stadtmöbel wurden die Anwohner mit einbezogen mit dem Resultat, dass im Superkilen Urban Park nun ein marrokanischer Brunnen neben einem kasachischen Bushäuschen steht, und Besuchern ein Thai-Box-Ring oder japanische Spielplatzfiguren zur Verfügung stehen. Auf diese Weise mache man das Andersartige sicht- und erlebbar – und trage damit im besten Fall zum gegenseitigen Verständnis bei. Die Nichtsichtbarkeit hingegen schaffe die Xenophobie.  

Prof. Carl Zillich, Kuratorischer Leiter IBA Heidelberg, erläuterte am Beispiel des Bahnstadt-Bergheim-Campus Heidelberg aktuelle Entwicklungen zu Fuß- und Radwegebrücken. Er schloss, der Mobilitätswandel könne nur durch Integration aller Sektoren gelingen. Am Ende gehe es darum, alle Leute mitzunehmen und Konsens zu erzielen.

Wie Infrastruktur und Brücken in der Hafencity Hamburg gestaltet sind, erläuterte Jürgen Rux, Senior Projektmanager HafenCity Hamburg GmbH. Mehr als 14 Prozent der privaten Flächen in der Hafencity seien öffentlich zugänglich. Ergänzend verfüge die Hafencity über viele attraktive Fußverbindungen. Maßgabe für die Brücken sei, dass sie den Zugang zum Wasser nicht erschweren dürften. Für eine hohe Aufenthaltsqualität seien Sitzbänke, breite Geländerläufe, Terrassen und Aussichtspunkte integriert.

Am anschließenden Dialogtisch diskutierten die Rednerinnen und Redner über öffentliche Räume, ihre Gestaltung und ihre Zugänglichkeit.

Ingo Siegmund vom Architekturforum Lübeck e.V. sagte, es gehe um gesellschaftliche Veränderungen, die dazu geführt hätten, dass die Räume nicht so sind, wie wir sie uns vorstellen. Es gehe ja nicht nur um eine bauliche Frage. Es gehe darum, wie wir als Stadtgesellschaft in Räumen leben wollen.

Joanna Hagen erinnerte daran, dass die Stadt Lübeck bei jeder Planung im öffentlichen Raum darauf schaue, dass es keine Kommerzialisierung gibt. Gleichzeitig sagte sie, dass sie zunehmend eine Konkurrenz um Räume wahrnehme. Das sei stark spürbar im Verkehrsraum, aber auch in den sonstigen Aufenthaltsräumen.

Prof. Carl Zillich berichtete aus Heidelberg zu diesem Thema, die dortigen Grünen hätten vorgeschlagen, der Anwohnerparkausweis solle so viel kosten wie ein Jobticket. Das würde einer Verdreißigfachung entsprechen.

Martin Rein-Cano meinte, dass viel zu viel lösungsorientiert geplant werde. Die Kultivierung von Konflikten müsse aktiv betrieben werden, oft sei es ein Austarieren. Wenn man nur lösungsorienteiert arbeite, müsse man scheitern. Gerade solche Projekte, die scheitern dürften, würden wir ja so lieben – weil sie keine unkorrigierbare Festigkeit hätten.

In seiner Zusammenfassung sprach Reiner Nagel dem Betrieb öffentlicher Räume mit Blick auf deren Qualität eine Schlüsselrolle zu. Die Phase 10 habe man als wichtiges Element erkannt, um Qualität zu steuern und Verantwortung wahrzunehmen. Bei Pflegebudgets könne man mit geringen Aufwand viel Nutzen erzeugen.

Nach einem gemeinsamen Abendbrot und musikalischer Einlage der Blaskapelle Lauter Blech aus Bremen, wurde am Abend die Ausstellung „20 Jahre ArchitekturForumLübeck e.V.“ eröffnet.

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