Eiermannbau Apolda

Baukultur wagt Experimente, um Leerstand zu beseitigen

© Thomas Müller
18.03.2020 Apolda: Eiermannbau Apolda - die open factory und Geschäftsstelle der Internationalen Bauausstellung Thüringen IBA.
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23.05.2019 Apolda: Eröffnung der StadtLand Ausstellung der Internationalen Bauausstellung Thüringen im Eiermannbau in Apolda.
© Henry Sowinski
22.08.2019 Apolda, Eiermannbau: Eiermann und Freunde ausgerechnet Apolda?!
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10.08.2019 Apolda: Hotel Egon der Internationalen Bauausstellung Thüringen IBA mit dem Kollektiv Raumstation im Eiermannbau.

Lange haben sie in der Thüringischen Kleinstadt Apolda gewartet, dass jemand investiert. 1994 lief die Produktion in der Textil- und Feuerlöscherfabrik aus. Seit 2016 entwickelt die IBA Thüringen das Industriedenkmal unkonventionell zur Open Factory. Das hat den sogenannten Eiermannbau überregional zum Begriff gemacht und das Interesse von Universitäten, Bildungseinrichtungen und Kreativen geweckt.

Die Stockwerkfabrik wurde von 1906 an als Stahlbetonskelettbau in Bahnhofsnähe errichtet. Ab 1936 übernahm die Firma Total den Standort. Der junge Architekt Egon Eiermann bekam den Auftrag, den Bestand zu erweitern. Dabei schloss er sensibel an die gegebenen Strukturen an, indem er sie modern interpretierte: Das Tragwerk wurde schlanker, die Fenster größer. Im dritten Obergeschoß schuf Eiermann einen stützenfreien, lichtdurchfluteten Speisesaal und auf dem Dach – zusammen mit der Landschaftsarchitektin Herta Hammerbacher – ein begrüntes Sonnendeck für die Mittagspausen der Belegschaft. Der Eiermannbau ist damit nicht nur ein herausragendes Industriedenkmal, sondern auch ein historisches Beispiel für Umbaukultur. Trotz der außerordentlichen Qualitäten des Bauwerks gab es nach Abwicklung des Betriebs kaum Interessenten – bis die Internationale Bauausstellung auf das Gebäude aufmerksam gemacht wurde und zusammen mit der Wüstenrot Stiftung im Sommer 2016 einen ersten „IBA-Campus“ mit 26 Studierenden veranstaltete. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zelteten in der Fabrik, installierten ein Kino, starteten einen Pingpong-Club und entwickelten weitere Ideen für die Umprogrammierung des Gebäudes zur Open Factory.

Durch die Vertragsform der Anhandgabe hat die Thüringer Landesentwicklungsgesellschaft der innovativen, interdisziplinären, partizipativen und lernenden Planungskultur der IBA den nötigen öffentlichen Rückhalt gegeben. Die Förderung im Bundesprogramm „Nationale Projekte des Städtebaus“ zeigt, welche hohen Erwartungen an das Pilotprojekt geknüpft werden, das sich mit den Potenzialen leer stehender Gebäude für die Entwicklung ländlicher Gemeinden und Städte befasst.

„Die Auseinandersetzung mit dem Bestand verändert den Architektenberuf“, erklärt Katja Fischer, Projektleiterin der Open Factory und Initiatorin des LeerGut-Schwerpunktes bei der IBA. Sie versteht ihre Arbeit als kuratorische. Was bisher geleistet wurde, lässt sich nicht mit der Phase Null gleichsetzen, denn es gab keine Nachfrage und keine auch noch so vage Aufgabenstellung. Es musste viel ausprobiert und mit Vielen gesprochen werden, etwa darüber, was die denkmalgeschützte Fabrik überhaupt leisten kann. Dabei wurde immer wieder die Grundsatzfrage gestellt: Wie wenig ist genug?

Zu den ersten, noch minimalinvasiven Interventionen gehörte es, kleine Gewächshäuser auf Sperrholzsockeln aufzustellen. Während der Gesamtraum über Deckenstrahlplatten lediglich auf 12 bis 15 Grad temperiert wird, lassen sich die Arbeitsplätze in den Gewächshäusern bei Bedarf über offen verlegte Versorgungstrassen beheizen. Durch die eingestellten Glashäuser bleibt die Weiträumigkeit der Fabriketage erhalten. Ihr „Außenraum“ mit Teeküche und Sitzgruppen bietet sich ganzjährig als Kommunikationszone an. Das lowtech Klimakonzept, entwickelt durch das Ingenieurbüro Hausladen, nutzt Querlüftung und Nachtabkühlung.

Auch die anderen Fabriketagen werden nutzungsneutral und technisch wie räumlich minimal ausgebaut. Vor den großen Fabrikfenstern werden Klimavorhänge angebracht. Die Ausbauten, aus Holzständern und Strohbauplatten errichtet, lassen sich einfach demontieren. Künftige Mieterinnen und Mieter können ihre Flächen selbstbauend weiterentwickeln. Die Dachfläche mit Reling und Flugdach wird denkmalpflegerisch instand gesetzt und steht in Zukunft allen offen. Damit sind günstige Rahmenbedingungen für vielfältige Nutzungen geschaffen, die den Eiermannbau neu in der Region und im Stadtleben verankern. Leerstand dürfte auf absehbare Zeit ausgeschlossen sein.

Aus dem Baukulturbericht 2022/23.

Planungszeitraum 2018–2023
Auftraggeber Internationale Bauausstellung (IBA) Thüringen
Architekt / Planer Architektur: IBA Thüringen / Katja Fischer und Tobias Haag, Apolda; Klima- und Heizkonzept: Ingenieurbüro Hausladen / Prof. Dr. Elisabeth Endres, Kirchheim; Bauleitung, Brandschutz- und Tragwerksplanung: Ingenieurbüro Matthias Münz, Weimar; Landschaftsarchitektur: Station C23 Architekten und Landschaftsarchitekten, Leipzig
Größe / Fläche 6.300 qm
Baukosten brutto 3,64 Mio. Euro
Nutzungen Innenentwicklung
Infrastruktur
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