Dettmannsdorf

Baukultur investiert in Bildung

© Andreas Meichsner
© Andreas Meichsner
© Andreas Meichsner

Wenn die Schule schließt, weicht meist das letzte öffentliche Leben aus einem Ort, der womöglich schon Gasthäuser und Läden verloren hat. Für junge Familien fehlt spätestens dann jeder Anreiz zu bleiben oder herzuziehen. 30 Kilometer östlich von Rostock erlebten die gut 1.000 Dettmannsdorfer das 2002. Die zuständige Schule lag nun eine Dreiviertelstunde mit dem Bus entfernt. Doch in Dettmannsdorf mit seinem regen Vereins- und Wirtschaftsleben fand man sich damit nicht ab. Aus der Bürgerschaft heraus gründete sich ein privater Schulförderverein. Ihm schlossen sich lokale Unternehmer an, die ein sinkendes Bildungsniveau ihrer Auszubildenden beobachteten. Schon 2005 konnte am alten Standort die Freie Evangelische Schule Dettmannsdorf eröffnen, die sich besonderer Berufsnähe verpflichtet hat – mit zunächst elf Schülern einer fünften Klasse.

Die Schülerzahlen stiegen stetig an und bald waren die einfach instandgesetzten Schulhäuser aus den 1950er- und 1970er- Jahren überlastet. Für die fehlenden Gemeinschaftsflächen musste ein Neubau her; ebenso für die Grundschule, die man seit 2014 in Containern betrieb. Das Raumprogramm sollte aktuellen Lehrmethoden gerecht werden, also das eigenständige Lernen oder Gruppenarbeit ermöglichen. Außerdem war ein Hort geplant. Angesichts des knappen Budgets von drei Millionen Euro konnten die Berliner mrschmidt architekten um die Dettmannsdorferin Marika Schmidt nur mit struk- tureller Reduktion sowie räumlichen Doppelbelegungen auf die vielen Anforderungen antworten.

Im Obergeschoss des 2017 eröffneten Neubaus ist jeweils ein Gruppenraum zwei Klassenzimmern zuschaltbar. Mit den Garderoben dazwischen ergibt sich eine Enfilade, bei der jeder Quadratmeter genutzt und belebt ist – als (schul)öffentlicher Raum im Kleinen. Nachmittags stehen hier für den Hort alle Türen offen. Ein außen liegender Gang dient als Fluchtweg. Die Wandscheiben, Brüstungsbänder und die Deckenplatte aus Stahlbeton machen das Obergeschoss zum Raumtragwerk, das an drei Seiten Auskragungen von bis zu 6,5 Metern erlaubt und überdachte Pausenbereiche schafft. Im Erdgeschoss liegen die Mensa, die Bibliothek, eine Werkstatt, ein Proberaum für Schülerbands, eine Lehrküche und ein Mehrzweckraum. Er steht nach Schulschluss dem Gemeindeleben oder für Weiterbildungskurse der örtlichen Wirtschaft zur Verfügung. Auch für eine Kinderuni und als Jugendwanderquartier in den Sommerferien hat er sich bewährt.

Das nüchterne Auftreten und die lange Form der Schule leitet die Architektin aus der baulichen Normalität ihres Heimatortes ab: einerseits aus den unscheinbaren Bestandsbauten der Schule, die nicht in den Schatten gestellt werden sollten; andererseits aus dem Mangel einer Bautradition, denn Dettmannsdorf hat weder einen Ortskern noch historische Landmarken. Erst um 1900 entstanden entlang der Straßen einfache Höfe, um 1930 dann größere mit länglichen Baukörpern. Über die DDR-Zeit bis heute folgten überwiegend Hallenbauten und Einfamilienhäuser. Schmidt reagiert darauf mit grauen Putzoberflächen sowie mit lasierten Dreischichtplatten in Fichte.

Mrschmidt Architekten haben gezeigt, dass ein intelligenter und günstiger Schulbau (Baukosten pro m2: 1.196 Euro brutto KG 300+400), der pädagogisch auf der Höhe der Zeit ist, unter den bestehenden Schulbaurichtlinien möglich ist. Die Schule ist zum Mittelpunkt des dörflichen Lebens geworden und sie strahlt aus – in die Region und auf die Gesellschaft. Heute kommen die rund 400 Schüler aus einem Umkreis von 25 Kilometern. Als Standortvorteil wird sie neue Einwohner anziehen und lokale Arbeitsplätze sichern. Die Investition war ein lobenswertes privates Bekenntnis zur Daseinssicherung, von der sich der Staat verabschiedet hatte. Dettmannsdorf zeigt, wie falsch dieser Rückzug des Staates vom Land war. Dass heute ungleiche Lebensverhältnisse und das Abgehängtsein festgestellt werden, ist andernorts direkte Folge dieser fehlenden baukulturellen Strukturpolitik.

Planungszeitraum 2014-2017
Architekt / Planer

mrschmidt Architekten, Berlin; Pichler Ingenieure, Berlin

Größe / Fläche 2.006 m2 BGF
Baukosten brutto 3,06 Mio. Euro
Nutzungen Öffentliches Bauen
Ländliche Räume
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