MarinaMarina in Berlin

Baukultur erschließt schwieriges Terrain

© Andreas Meichsner
© Andreas Meichsner
© Andreas Meichsner
© PETERSENARCHITEKTEN
© Andreas Meichsner

Am Anfang standen Entdeckung, Improvisation und informelle Inbesitznahme. Inzwischen hat der Ort einen Namen: MarinaMarina ist ein Gemeinschaftsprojekt von Realace und SLOW in Berlin–Lichtenberg, mit dem ein neues Kreativquartier an der Spree entsteht. Für dessen besonderen Spirit soll der Ort seinen wilden, spröden Charme behalten.

Das Heizkraftwerk Klingenberg dominiert die Szene. Das Bademeisterhaus und das denkmalgeschützte Bootshaus erinnern daran, dass es dort zwischen 1927 und 1950 einmal das Städtische Flussbad Lichtenberg gab, im Winter gewärmt vom Kühlwasser der Kraftwerksturbinen. Bis zu 17.000 Badende kamen täglich und vergnügten sich am Strand. Zur Geschichte des Orts gehört aber auch, dass danach der DDR-Zoll dort seinen Verwaltungssitz hatte. Ein früher dreigeschossiger Plattenbau nebst Kantine, ein großer Parkplatz und etliche Garagen gehörten zur Liegenschaft. Wer Kraftwerk und Plattenbau den Rücken kehrt und durchs Gras zum südwestlichen Ufer streift, fühlt sich weit weg von Berlin. Die Spree scheint an dieser Stelle breit wie ein See. Am Ufer gegenüber liegen bewaldete Inseln und Parks. Vieles ist an diesem Ort denkbar – nur wohnen verbietet sich so nahe am Kraftwerk. Es ist ein reines Gewerbegrundstück. Von Anfang an sollte das 22.000-Quadratmeter- Areal unter Wahrung des Naturraums sanft und Schritt für Schritt aus dem Bestand transformiert werden. Als erstes wurden nach Plänen von Thomas Baecker Bettina Kraus Architekten die Garagen zu Kunstateliers und Werkstätten ausgebaut. Die Spreestudios entstanden. Dann kam eine kleine urbane Marina ans Ufer – ein erstes Projekt von PETERSENARCHITEKTEN.

Der Plattenbau des DDR-Zolls wurde als Teil der Lokalgeschichte akzeptiert und nicht abgerissen, sondern umgebaut und aufgestockt. Die Substanz war einfach zu gut, erklärt Architekt Ralf Petersen. Ein Neubau gleicher Größe wäre viel teurer geworden. Petersen ließ lediglich die Brüstungsfelder ausbauen und hinter die stark profilierten Fassadenelemente neue Glasfronten setzen. Das Dach des Plattenbaus wies so große Lastreserven auf, dass es kein Problem war, das Haus mit Stahlbaurahmen zweigeschossig aufzustocken. Petersen ließ sich von den kieloben am Ufer liegenden Booten zu dem ungewöhnlichen Aufbau mit steilen Dachschrägen zu allen Seiten und flacher Ziegelabdeckung inspirieren. Flächig eingesetzte, unterschiedlich kombinierte Fensterelemente beleben die Dachfassaden. Die Räume dahinter haben Rohbauatmosphäre. Die außergewöhnliche Anordnung ihrer Fenster sorgt dafür, dass Nutzerinnen und Nutzer überall den Ausblick genießen können – ob sie auf einer niedrigen Couch Platz nehmen, am Schreibtisch sitzen oder gar an einem Pult stehen. Außerdem wird jeder denkbare Arbeitsplatz optimal mit Tageslicht versorgt. Statt Dachspitz bietet die Platte ein rundum geschütztes, großes Holzdeck mit fantastischem Rundblick. Das Erdgeschoss hat selbstverständlich auch eine Sonnenterrasse zum Fluss erhalten. Wenige Stufen führen hinab ins Grasland.

Nebenan steht der frühere Flachbau der ehemaligen Zoll-Kantine. Er wurde zur Straße um drei Geschosse aufgestockt. Stahlstützen und Unterzüge bilden das industrielle Grundgerüst für die unterschiedlich hohen Etagen. Das Thema Plattenbau wurde bewusst aufgegriffen: Für die Fassaden verwendeten PETERSENARCHITEKTEN unterschiedlich dimensionierte Porenbetonelemente, die ein interessantes Relief ergeben. Dabei hat das Material so gute Dämmwerte, dass es monolithisch verwendet werden konnte. Überseecontainer auf der Dachterrasse bieten zusätzlichen Stauraum und bergen eine Sommerküche. Gleichzeitig schirmen sie den Freiraum vom künftigen Neubau ab: der sogenannten „Werft“, einer Art Kongresszentrum.

Das Projekt zeigt, wie inspirierend selbst Plattenbauten für eine unverwechselbare, nachhaltige Quartiersentwicklung sein können, die die Geschichte des Orts fortschreibt.

Aus dem Baukulturbericht 2022/23.

Planungszeitraum 2014-2018
Auftraggeber Sendlinger Conrads, Axel Schukies
Architekt / Planer Städtebau und Architektur: PETERSENARCHITEKTEN, Berlin; Tragwerksplanung: Ingenieurbüro Bauwesen Uwe Horn, Leipzig
Größe / Fläche 5.500 qm ("Platte"), 1.200 qm ("Kantine")
Baukosten brutto 6,5 Mio. Euro ("Platte"), 1,5 Mio. Euro ("Kantine")
Nutzungen Innenentwicklung
Nach oben