München

Baukultur erhält Mischung

© Bundesstiftung Baukultur, Foto: Andreas Meichsner
© Bundesstiftung Baukultur, Foto: Andreas Meichsner
© Bundesstiftung Baukultur, Foto: Andreas Meichsner

Im Werksviertel am Münchner Ostbahnhof wurden Kartoffelknödel, Schmierstoffe, Bekleidung und Motorräder hergestellt. Danach kamen Street-Art und Nachtleben – etwa in den Optimolwerken oder im „Kunstpark Ost“ (später Kultfabrik) auf dem 1996 geschlossenen Gelände der Firma Pfanni. Firmenerbe Werner Eckert lag ein Verkauf des Areals offenbar ferner, als es mit unkonventionellen Ideen weiterzuentwickeln. Unkonventionell dachte man auch bei Steidle Architekten, von denen die benachbarte „Medienbrücke“ – ein dreigeschossiger Riegel über einem Hof – stammt. Schließlich wurden die Planer von Eckert und den damals sieben anderen Grundstücksbesitzern mit einer übergreifenden städtebaulichen Planung beauftragt. Damit wurde ein gordischer Knoten gelöst, denn über den bisherigen Strukturplan der Stadt war man sich uneins, zumal er die Belange der Eigentümer vernachlässigt hatte und weitgehend Tabula rasa vorsah. Insbesondere im Werksviertel-Mitte (Pfanni-Areal) sollten etablierte Einrichtungen erhalten bleiben: so die „Nachtkantine“ oder die „Tonhalle“. Ein anderer Bestandsbau wurde zum Gründerzentrum und die Kartoffelhalle zum Musicaltheater „Werk 7“. Ein mehrstöckiges Produktionsgebäude, das bereits Zwischennutzer hatte, erhielt eine Erweiterung und Aufstockung. Über 50 höchst unterschiedliche Unter- nehmen haben heute im „Werk 3“ Flächen zwischen 8 m2 und 4.000 m2 gemietet (große Unternehmen zahlen einen höheren Quadratmeterpreis), darunter Medienagenturen, offene Studios, Restaurants, und Geschäfte für Künstlerbedarf oder Kindermöbel. Die frühere Laderampe ist durch Geschäfte belebt und Durchgänge, an denen kleine Gastronomiebetriebe liegen, führen von einer Seite zur anderen. Auf dem Dach leben Schafe: Hier können Stadtkinder in der „Almschule“ Bauernhofatmosphäre erleben.

Nebenan lädt seit 2019 im „Werk 12“ des Architekturbüros MVRDV ein Fitness-Center mit Pool ein. Der Fahrstuhl aus der Tiefgarage endet im Erdgeschoss, sodass der öffentliche Raum betreten werden muss. Die weitere Erschließung erfolgt außenliegend an der Fassade, die von umlaufenden Galerien belebt wird. Spektakulär wirkt auch „Werk 4“ als 

Hotel- und Hostelturm mit dem ehemaligen Kartoffelmehlsilo als Basis. Das Silo kann im Inneren weiter als Kletterhalle genutzt werden, außen kommt eine Kletterwand hinzu. Also auch hier: Sichtbare Aktivität in der dritten Dimension.

Die Vergangenheit des Quartiers erkennt man in den Außen- räumen mit ihrem industriellen Betonpflaster (Planung: Jühling & Partner, WGF). Auf den noch vorhandenen Bahnschienen wachsen Bäume in Kartoffelkisten neben rollenden Sitzmöbeln – eine Idee jenseits kommunaler Standards, die hier auf privatem Grund leichter zu realisieren war. Graffitis und eine auffällige Signaletik – typisch für Industrie und Nachtleben – prägen die Freiräume weiterhin. Wo gerade Platz ist, wird zwischengenutzt: So haben in einem Dorf aus Überseecontainern u.a. mehrere Bars, ein Frisör und ein Fahrradladen eröffnet. An anderer Stelle wurde ein Riesenrad als Zwischennutzung aufgestellt. Hier entsteht bald Münchens neues Konzerthaus, das nicht nur den Musikstandort Werksviertel stärken, sondern seinen Nutzerkreis um die Anhänger klassischer Musik erweitern wird.

Auch wenn nicht alle liebgewonnenen Institutionen gerettet werden konnten, wurde mit dem Werksviertel-Mitte ein Industriekomplex zum öffentlichen Ort gemacht – für verschiedene Zielgruppen, tagsüber und nachts. Aus dem Bestand und vielen Zwischennutzungen heraus begann bei laufendem Betrieb ein Stadtumbau, der von einer gewissen Unordnung lebt. Durch die Überlagerung der linearen industriellen Struktur mit den geplanten Blockstrukturen ergeben sich unterschiedliche öffentliche Räume: weite, enge, gerade, gebogene, hohe, niedrige, steinerne und – in Zukunft vermehrt – grüne. Weiterhin gilt das Primat der Mischung mit möglichst öffentlichen Erdgeschossen. Ein Großmarkt kann neben Wohngebäuden und eine Grundschule neben dem Konzerthaus existieren. Wo gibt es das sonst?

Planungszeitraum Planung und Bau: seit 2009
Architekt / Planer

steidle architekten, München; Jühling & Partner Landschaftsarchitekten, München; WGF Objekt Landschafts- architekten, Nürnberg; weitere Planer von Einzelgebäuden

Planungsbeteiligte OTEC GmbH & Co.KG (Werks- viertel Mitte) und weitere acht Bauherren
Größe / Fläche 38ha
Nutzungen Arbeiten
Kultur
Freiraum
Stadtplanung
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