Gundelsheim

Baukultur belebt ländliche Gemeinden

© Andreas Meichsner
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© Stefan Meyer
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Gundelsheim wurde in der Vergangenheit gerne als „Schlafzimmer“ Bambergs belächelt. Inzwischen aber erhält die 4.000-Einwohner-Gemeinde überregional Aufmerksamkeit für ihre baukulturelle Entwicklung. Schritt für Schritt hat die Kommune eigeninitiativ Leerstände beseitigt, alten Gebäuden neue Aufgaben zugewiesen, sich für qualitätvollen Umbau eingesetzt und den öffentlichen Raum aufgewertet. Das ist nicht nur dem Engagement von Bürgermeister Jonas Merzbacher zu verdanken, sondern dem Mitwirken der Bürgerinnen und Bürger.

Gundelsheims Zentrum ist der idyllische Leitenbach mit seinen Uferwiesen. Nördlich des Baches verläuft die alte Hauptstraße, an der die kleine Lukas-Kirche liegt und das alte Rathaus, das einmal Schule war. Schon vor längerer Zeit hat die Gemeinde einen kleinen von Bäumen beschatteten Platz vor der Kirche anlegen lassen, dessen Sitzstufen bis ans Wasser reichen. Zur unmittelbaren Nachbarschaft des alten Rathauses gehören die beiden Wohn- und Geschäftshäuser 7 und 9.

Nummer 7 ist ein stattliches giebelständiges Haus, Baujahr 1900. Dort befand sich eine „Spezerei- und Flaschenbierhandlung“, später das erste Lebensmittelgeschäft des Ortes. Seit 2012 der Schleckermarkt dicht gemacht hatte, stand das Haus 7 mit seinem 1970er-Jahre Vorbau leer. 2015 machte die Gemeinde von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch und erwarb das Gebäude nebst historischer Scheune. Zwei Jahre später kam noch das Nachbarhaus hinzu. Inzwischen hatte die Befragung der Bürgerschaft ein klares Votum für die Einrichtung eines Gasthauses ergeben. Dem Ort fehlte ein informeller Treff. Mit einem 1:1 Modell aus Gerüstteilen und Planen wurde der geplante Umbau allen zur Diskussion gestellt. Da in Gundelsheim immer umfassend sozial geplant wird, sollten in den beiden Häusern zugleich auch fünf Wohnungen für anerkannte Flüchtlinge geschaffen werden. Als Pächter für die Gastronomie stand der syrische Koch Karam Abazali bereit, der schon in der Schulküche arbeitete. Heute versorgt seine „Spezerei“ Kita, Kindergärten, Hort, beliefert verschiedene Privatadressen mit Mittagsmenü nach Vorbestellung, bietet einen Mittagstisch und abends eine Karte, auf der das obligate Schnitzel genauso steht wie syrische Spezialitäten. Für bundesweites Aufsehen hatte zuvor die Architektur der neuen Gemeindebücherei auf der Südseite des Leitenbachs gesorgt, mit der ein ortsbildprägender alter, schon lange aufgegebener Bauernhof zum Zentrum kulturellen Gemeindelebens wurde. Die Kommune war initiativ geworden, als ein Investor nach dem Abriss der Scheune auch das Wohnhaus aus dem 18. Jahrhundert und den rückwärtig angebauten Stall beseitigen wollte, um auf dem großen Grundstück verdichteten Wohnungsbau zu realisieren. Assistiert von der Bayerischen Architektenkammer lobte die Gemeinde einen Einladungswettbewerb aus, der sich bewusst an sechs kleinere und jüngere Architekturbüros der Region richtete. Schlicht Lamprecht Architekten BDA aus Schweinfurt haben den traditionellen Dreiklang „Haus – Stall – Scheune“ wieder hergestellt. Aus dem Bestand entwickelten sie spielerisch und konstruktiv ein Haus im Haus-Konzept. Das entkernte alte Haus überfängt die hüttenähnliche Kinderbücherei. Der ehemalige Stall steht unter dem Schutz einer hohen Scheunenarchitektur, an die der Bibliotheksbau anschließt. So sind sowohl große, durch mobiles Mobiliar frei bespielbare Räume wie auch Lese-Kabinette entstanden. Der Bibliotheksneubau tritt, mit Holzlatten beplankt, als ruhige, ländliche Großform in Erscheinung und bildet mit dem Altbau zusammen ein stimmiges Ensemble mit einladendem Vorhof.

Längst ist die Gemeindebücherei mehr als ein Ort, an dem Medien ausgeliehen werden. Die Kinderstube im entkernten alten Haus wird an regnerischen Tagen vom Waldkindergarten genutzt. In der lichtdurchfluteten Bücherscheune wird auch geheiratet.

Alle Projekte in Gundelsheim, die vor allem durch Städtebauförderungsmittel finanziert werden, sind schon während der Entstehungszeit Integrationsschmieden. Von Projekt zu Projekt wächst die Identifikation der Gundelsheimer mit ihrem Ort. Jetzt wird über einen neuen Steg über den Leitenbach nachgedacht, der beide Ufer und die gemeindlichen Bauten fußläufig verbinden soll.

Aus dem Baukulturbericht 2022/23.

Planungszeitraum 2017-2020
Auftraggeber Gemeinde Gundelsheim/Oberfranken
Architekt / Planer Architektur, Außenanlagen und Bauleitung: Schlicht Lamprecht Architekten BDA, Schweinfurt; Tragwerksplanung: Tragraum Ingenieure, Bamberg; Technische Gebäudeausstattung: ecoplan Projekt, Bamberg; Elektroplanung: Planungsbüro Pabst, Bamberg; Bauphysik: BASIC, Gundelsheim
Größe / Fläche 300 qm
Baukosten brutto 2.49 Mio. Euro
Nutzungen Innenentwicklung
Ländliche Räume
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