Anders bauen: Paradigmenwechsel für das klimaverträgliche Bauen

© Sabrina Ginter

Am 19. und 20.09.2024 trafen sich 135 Vertreterinnen und Vertreter aus Architektur und Ingenieurwesen, Immobilien- und Wohnungswirtschaft, Verwaltung, Forschung und Baupraxis im Rahmen der 4. Baukulturtage in Bad Aibling. Elisabeth Kaiser, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen und Stiftungsratsvorsitzende der Bundesstiftung Baukultur, machte die Dringlichkeit neuer klima- und kosteneffizienter Bauweisen deutlich. In Vorträgen und Diskussionen ging es danach um die Frage, wie die Wärmewende und der Gebäudetyp-e umgesetzt werden können.

"Die Wärmewende erfordert eine ganzheitliche Herangehensweise: Nur wenn wir über sektorale Ziele hinausblicken und das Gesamtbild im Auge behalten, können wir eine klimafreundliche und zugleich gestalterisch anspruchsvolle Baukultur fördern“, sagte Elisabeth Kaiser.

„Für eine erfolgreiche Bauoffensive braucht es einen Paradigmenwechsel“, betonte Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur. „Errichtung und Betrieb von Gebäuden und Infrastrukturbauwerken müssen künftig an einem CO2-Reduktionspfad und nicht mehr an Energieeffizienzanforderungen orientiert werden.“

„Clean (CO2-reduziert) nicht green (endenergiereduziert) ist das neue Ziel“, sagte Dr. Ernst Böhm, Gründungsgesellschafter der B&O Gruppe. „Wir müssen mit weniger Material und weniger Geld die CO2-Emmissionen stärker und schneller reduzieren. Das exzessive Dämmen sollte ein Ende finden, der Schwerpunkt liegt auf einer CO2-freien Erzeugung von Wärmeenergie. Das verstehen wir unter Wärmewende.“

Gebäudetyp-e: Reduktion als neuer Standard beim (Um)Bauen

Prof. Lydia Haack, Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer, skizzierte den Weg des Gebäudetyp-e von der Idee zur bevorstehenden Gesetzesänderung. Sie unterstrich, dass das aktuelle Korsett aus Regeln und Normen das Bauen heute „systemisch kompliziert“ mache und fachliche Expertise von Architekten, Ingenieurinnen und Fachplanern nicht in dem Maße zum Tragen komme, wie es möglich und wünschenswert wäre. Sie plädierte für eine Reduktion auf die primären Schutzziele mit Handlungsspielräumen für alternative Konstruktionen.

Ralph Büchele, Geschäftsführer der BayernHeim GmbH, beleuchtete die Perspektive der Wohnungswirtschaft, insbesondere das geförderte Wohnen. Er wies darauf hin, dass die Steigerung der Baukosten vor allem die Kosten für den technischen Ausbau betreffe, und stellte die aktuellen Standards in Frage. Eine Reduktion sei in vielen Bereichen möglich, von Schall- über Wärmeschutz bis hin zur Barrierefreiheit. Nur so könnten die Baukosten gesenkt und künftig noch bezahlbare Wohnungen gebaut werden, die sich auch wirtschaftlich rechneten.

Inwieweit Reduktion auch im Bereich der energetischen Sanierung möglich und sinnvoll ist, erforscht Prof. Florian Nagler, TU München / Florian Nagler Architekten GmbH, derzeit in Heidelberg: Er erläuterte das Vorhaben, das Erkenntnisse darüber bringen soll, ob einfachere Sanierungsstrategien effektiver und günstiger sind und zu einer Beschleunigung der energetischen Bestandssanierung führen könnten. Dazu werden laut Nagler unterschiedliche Sanierungsmaßnahmen an 13 baugleichen Zeilenhäuser der GGH in der Pfaffengrund Siedlung umgesetzt und miteinander verglichen, auch unter Berücksichtigung des Nutzerverhaltens vor und nach der Sanierung. Als Referenzvariante dient eine Vollsanierung nach EH 55 Standard. Der Energieeffizienzstandard sei gegenüber der unterschiedlichen Emissionsergebnisse aufgrund des Nutzerverhaltens fast unbedeutend. 


Paradigmenwechsel: Dekarbonisierung vor Energieeffizienz

Das Ziel, bis 2045 CO2-neutral zu werden, gelinge nur mit einer entschiedenen Dekarbonisierung der Energieerzeugung, stellte Prof. Thomas Auer, TU München/ Transsolar Energietechnik GmbH, in seinem Vortrag klar. Eine umfassende energetische Sanierung des Gebäudebestandes nach EH 55 Standard sei schlicht nicht finanzierbar und eine Umstellung der Wärmeversorgung auf Strom aus regenerativen Energien viel besser möglich. Gleichzeitig gab er zu bedenken, dass damit auch ein Aus- und Umbau der Elektroinfrastruktur einhergehe.

Wie eine ganzheitliche Sanierung statt maximaler Effizienz aussehen kann, verdeutlichte Prof. Elisabeth Endres, Ingenieurbüro Hausladen GmbH, anhand des Kollegiengebäudes der Katholischen Universität Eichstätt, das mit behutsamen Eingriffen energetisch ertüchtigt wurde. Sie monierte, dass im Umgang mit dem Bestand viel zu oft (energetische) Mängel in den Vordergrund gerückt würden, anstatt die Qualitäten eines Gebäudes herauszukehren und weiterzuentwickeln.

Als Auftakt zu den anschließenden Führungen übers B&O Bau ForschungsQuartier stellte Amandus Samsøe Sattler,ensømble studio architektur, das neue Heizhaus vor, das aktuell auf dem Gelände gebaut und Wärme aus Holzhackschnitzeln erzeugen wird. Der markante Entwurf aus nachwachsenden und vorgefundenen Baustoffen verdeutlicht, wie ein technisches Gebäude mit baukulturellem Anspruch zu einem Botschafter der Wärmewende werden kann.

Bei einem internen Fachgespräch diskutierten Expertinnen und Experten am zweiten Tag in Bad Aibling rechtliche Fragestellungen und Praxiserfahrungen zur Wärmewende und zum Gebäudetyp-e. Dabei verwies Prof. Hausladen auf die Erkenntnis, dass entgegen häufig kommunizierter Meinungen 95 Prozent der Bestandsgebäude mit Wärmepumpen ausgestattet werden könnten und einem Umbau deshalb in der Regel nichts entgegen stehe. Außerdem ging es um die Notwendigkeit guter Prozesse, angefangen bei kooperativen Wettbewerbs- und Dialogverfahren, die offen für Kommunikation sind, hin zu einer Phase Null, die der Vertrauensbildung aller Beteiligten dient. Vertrauen, Mut zu Entscheidungen, transparente Kommunikation und Experimentierfreude waren zentrale Eigenschaften, die die Teilnehmenden als essenziell einstuften, um beim Thema „Anders bauen: Wärmewende und Gebäudetyp-e“ weiterzukommen.

Das detaillierte Programm sowie Fotos der Veranstaltung finden Sie in unserem Magazin.

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