Nachbericht zur Baukulturwerkstatt Stuttgart „Umbaukultur – Regionen, Städte und Quartiere neu denken“

© IBA’27 / Franziska Kraufmann

Aus Anlass des hundertjährigen Bestehens der Weißenhofsiedlung wurde in Stuttgart das dreitätige Programm mit dem Titel „Erbe der Moderne“ abgehalten. Der Veranstaltung „Index of Modern Architecture“, verantwortet durch das Institut der Geschichte der modernen Architektur an der Universität Stuttgart, ging am 29. und 30. Juli eine Baukulturwerkstatt voraus, die sich in Vorträgen, Diskussionen sowie einer Exkursion dem Thema Umbaukultur – Regionen, Städte und Quartiere neu denken“ widmete.

Nach einer Begrüßung durch Karin Lang, Geschäftsführerin der IBA 2027, und Dr. Isabel Klocke, stellvertretende Vorsitzende der Bundesstiftung Baukultur, traten die Teilnehmenden zunächst zu einer Busexkursion ins Stuttgarter Umland an. Das Programm macht die Gäste mit drei Transformationsprojekten in Sindelfingen, Fellbach und Backnang bekannt, die als Auseinandersetzung mit dem planerischen und baulichen Erbe des 20. Jahrhunderts aufgefasst werden können.

Barbara Brakenhoff, Projektleiterin der Stadt Sindelfingen im Rahmen der IBA, führte über das dortige Krankenhausareal. Nach dem Bau eines neuen Klinikums soll das Areal, in dessen Mitte ein Spitalbau aus den 1960er-Jahren steht, für Wohnnutzungen adaptiert werden. Keineswegs aber soll eine reine Schlafstadt entstehen – angestrebt wird eine ausgewogene Funktionsmischung.

Das zentrale Dogma der Moderne, namentlich die Gliederung der Stadt in verschiedene Funktionsbereiche, steht auch in Fellbach zur Disposition. Ulrich Dilger, Mitarbeiter der Stadtentwicklung Fellbach, erläuterte das IBA-Projekt „AGRICULTURE meets MANUFACTURING“ für die Areale beiderseits der Stuttgarter Straße. Die landwirtschaftlichen Flächen im Süden und das nördlich gelegene Gewerbeareal, die bislang nicht nur durch die Ausfallstraße getrennt, sondern auch funktional entkoppelt sind, sollen unter Ausnutzung von Synergieeffekten für geänderte Bedarfe adaptiert werden.

Tobias Großmann, Mitarbeiter der Stadtplanung Backnang, führte durch das Quartier Backnang West. Auf einem vormals industriell genutzten Areal, das sich auf knapp 17 Hektar zwischen Innenstadt und Murr erstreckt, soll nach Plänen des Büros Teleinternetcafé ein gemischtes Quartier entstehen. Neben Flächen für Kultur und Bildung sollen auch Wohnungen sowie Fertigungsstätten für einen ortsansässigen Raumfahrttechnikhersteller geschaffen werden. Verbliebene Bauten, die zuvor etwa durch eine Gerberei genutzt wurden, sollen erhalten bleiben.

Nachdem sich die Teilnehmenden wieder auf dem Killesberg eingefunden, wurden sie auch durch die Staatssekretärinnen Petra Olschowski und Gisela Splett sowie durch den Stuttgarter Bürgermeister Peter Pätzold begrüßt. Im Ausstellungsraum des Neubau 1 der Staatlichen Akademie der Künste, einem beeindruckenden Hochschulbau der westdeutschen Nachkriegsmoderne, erläuterten Prof. Dr. Bernhard Furrer als Vertreter von ICOMOS sowie Prof. Dörte Gatermann als Juryvorsitzende die Ergebnisse des Städtebaulichen Ideenwettbewerb zur Umgestaltung des benachbarten Weißenhofs. Höhepunkt und Abschluss des Abends bildete eine Podiumsdiskussion zwischen dem Architekturtheoretiker Pro. Vittorio Magnago Lampugnani, der Architektin und Raumplanerin Prof. Yasemin Utku sowie dem IBA-Intendanten Andreas Hofer. Erörtert wurde dabei auch, inwiefern die Klassische Moderne als allein historisches Phänomen gewertet werden müsse oder doch noch Lösungen für gegenwärtige Herausforderungen bieten kann.

Zum zweiten Veranstaltungstag wurden die Teilnehmenden durch die Staatssekretärin Andrea Lindlohr, Andreas Hofer, IBA-Intendant, und den Vorsitzenden der Bundesstiftung Baukultur, Reiner Nagel, begrüßt. In zwei Impulsvorträgen wurden die Möglichkeit einer Quartiersentwicklung unter Berücksichtigung des Bestands beleuchtet – einerseits anhand des Neckarspinnerei Quartiers in Wendlingen, andererseits am Beispiel des Stöckach-Areals im Stuttgarter Osten.

Nach der Mittagspause teilten sich die Teilnehmenden in drei Werkstatt-Runden auf. An einem ersten Werkstatttisch, moderiert von Bettina Preuße, stellte Barbara Brakenhoff Hintergrundinformationen zum Sindelfinger Umbauprojekt vor. Die Diskussion mit den Gästen folgte auf einen Impulsvortrag von Ulrike Fukas, die für das Büro steidle architekten an der Gestaltung des Werksviertels in München beteiligt war und eine Präsentation von Steffen Braun, der am Stuttgarter Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation forscht.

Einer umfassenden Erläuterung des Fellbacher Vorhabens durch Ulrich Dilger folgte ein Impuls-Vortrag von Berthold Flieger, der an der Planung des Alnatura-Campus in Darmstadt durch das Ramboll Studio Dreiseitl beteiligt war. Unter der Leitung von Achim Reese tauschten sich die Teilnehmenden daraufhin zum Thema „Umbau von Stadt und Landschaft“ aus. Natalie Hipp moderierte einen Werkstatttisch, der „Prozesse und Strukturen für den Umbau“ zum Gegenstand hatte. Einer Präsentation von Tobias Großmann folgte hierbei eine Vorstellung des BOB-Campus Wuppertal, den Silvia Harth und Lisa Hahn für die Montag Stiftung Urbane Räume präsentierten.

Das Abendprogramm eröffnete mit dem Bericht des Tages, vorgetragen von Reiner Nagel. Ben Pohl erläuterte die Arbeit des Zürcher Büros denkstatt, einem Think Tank, der sich nach eigenen Angaben „auf verschiedenen Ebenen mit den gegenwärtigen städtebaulichen Transformationsprozessen im urbanen und ruralen Kontext in der Schweiz und im Ausland“ befasst. Prof. Andreas Hild stellte schließlich in seiner Keynote Lecture sein Konzept einer neuen Umbaukultur vor.

Den Abschluss des zweiten Veranstaltungstages bildete ein politisches Forum, moderiert von Reiner Nagel. Außer dem Intendanten Andreas Hofer debattierten Peter Pätzold (Bündnis 90/Gründe), Suse Kletzin (SPD) und Dr. Carl-Christian Vetter (CDU) über Strukturanpassungen, die erforderlich sein werden, um die anstehenden Umbauaufgaben der unterschiedlichsten Maßstabsebenen erfolgreich zu bewältigen.

Indem Architektur und Stadtplanung des 20. Jahrhunderts weder verdammt noch gepriesen, sondern als prägende Bausteine der gebauten Umwelt in Deutschland anerkannt und diskutiert wurden, hat die Baukulturwerkstatt nicht nur den Blick für die Probleme mit diesem baulichen Erbe geprägt. Vielmehr hat sie auch deutlich gemacht, welcher Hilfsmittel es bedarf, um die Vorzüge, die diesem gebauten Nachlass innewohnen, für Gegenwart und Zukunft zu erschließen.

Die Berichterstattung der IBA'27 sowie den Film finden Sie hier:
Bericht: https://www.iba27.de/symposium-das-erbe-der-moderne/
Film:     https://www.iba27.de/das-erbe-der-moderne-nachbericht/  

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