Der Kodex für Baukultur – Maßstab der verantwortlichen Bauherrschaft

© Niklas Schnaubelt
© Niklas Schnaubelt

Die Bau- und Immobilienwirtschaft sieht sich seit geraumer Zeit einer grundlegenden Transformation ausgesetzt, die nach und nach alle Akteure und Professionen, alle Segmente und Nutzungsarten erfasst. Der Kapitalmarkt, die Investoren und nicht zuletzt die Stakeholder fordern ein Umdenken. Ein Umdenken hin zu mehr Nachhaltigkeit, zu lebenswerteren Gebäuden und Städten, zu substanzielleren Investitionen und auch hin zu einem anderen Umgang miteinander. Diese tiefgreifende Transformation hat in Zeiten der Pandemie und durch die jüngsten Ereignisse des Kriegs in Europa noch mehr Schub bekommen.

Dabei ist das Bauschaffen, heute würden wir sagen die Immobilienwirtschaft, schon seit Jahrhunderten diejenige Ebene, die unser Zusammenleben durch die Schaffung und Transformation unserer Lebensräume aktiv gestaltet. Neben den Nutzern bestehen die Bauschaffenden im Wesentlichen aus drei Akteursgruppen: Den planenden Architektinnen und Architekten, Ingenieuren und Ingenieurinnen, den bauenden Unternehmen der Bauwirtschaft und des Handwerks sowie den Bauträgern aus Immobilien und Wohnungswirtschaft.

Bei genauerer Betrachtung existiert ein struktureller Unterschied zwischen diesen Berufsgruppen, der sich in der ergebnisorientierten Zusammenarbeit zum Bruch im System auswirken kann. Kammergesetze und Berufsordnungen verpflichten Architektinnen und Architekten zu „einer positiven Gestaltung der Umwelt des Menschen“ und dazu, „gut gestaltet, technisch, wirtschaftlich, umweltgerecht und sozial zu planen“. Für Ingenieurinnen und Fachplaner sind ähnliche Ziele im Ingenieurkodex festgehalten. Der Kodex für Baukultur setzt nun auch Maßstäbe für die Immobilienbranche.

Der Hintergrund

Das Institut für Corporate Governance in der deutschen Immobilienwirtschaft (ICG) und die Bundesstiftung Baukultur haben, unter wissenschaftlicher Begleitung durch das IREBS Institut der Universität Regensburg, einen Kodex für Baukultur erarbeitet und vorgelegt. Diese Leitlinie stellt ein Instrument dar, um den Herausforderungen des Wandels zu begegnen. Die Akteure der Branche sollen ermutigt werden, sich mit allen Anforderungen von ESG (Environment Social Governance) auseinanderzusetzen und hierbei neue Allianzen zu schmieden. Rückendeckung für dieses Vorgehen kommt aus der Immobilienwirtschaft selbst: In einer Umfrage unter 300 Branchenprofis geben 70 Prozent an, dass Immobilienunternehmen zusätzliches Vertrauen gewinnen können, wenn sie sich aktiv in die Lösung gesellschaftlicher Fragen einbringen. Aber nur 25,5 Prozent glauben, dass sich die Immobilienwirtschaft bereits in ausreichendem Maß engagiere. Der Kodex für Baukultur bietet hierfür eine sehr gute Grundlage im Bereich Planung, Entwicklung und Bau. Er ist eine freiwillige Selbstverpflichtung für die verantwortungsvolle Aufgabenwahrnehmung von Unternehmen der Immobilienwirtschaft und unterstützt diese dabei, sich aus eigener Initiative und im Rahmen einer Selbstverpflichtung für baukulturelle Belange einzusetzen.

Die Erarbeitung

Baukultur ist stets eng mit Prozessqualität verknüpft. Den Initiatoren des Kodexes war daher die Einbeziehung der Akteure der Immobilienwirtschaft in den Erstellungsprozess des Kodex ein zentrales Anliegen. Da eine persönliche Diskussion der Inhalte aufgrund der Corona-Pandemie nicht möglich war, wurden Unternehmen der Immobilien- und Wohnungswirtschaft aufgefordert, mittels einer Online-Befragung Feedback zum Entwurf des Kodexes für Baukultur zu übermitteln. Der Fokus lag dabei auf den Fragen, welche Relevanz die befragten Unternehmen den Aspekten des Kodex beimessen und inwiefern sie diese bereits umsetzen. Außerdem sollten darüberhinausgehende Anregungen und Hinweise zur weiteren Bearbeitung des Kodex gewonnen werden. Die Ergebnisse dieses Beteiligungsprozesses sind direkt in den Kodex eingeflossen.

Das Ziel

Die Immobilienwirtschaft trägt in ihrer Aufgabe als Projektentwicklerin, Planerin, Bauherrschaft, Eigentümerin etc. in besonderem Maße Verantwortung für die Gestaltung unserer Lebensräume. Gleichzeitig bilden baukulturelle Werte und gesellschaftliche Akzeptanz die Basis für wirtschaftlichen Erfolg. Der Begriff Baukultur umfasst hierbei die Summe aller menschlichen Tätigkeiten, die unsere gebaute Umwelt verändern. Er betrifft die architektonische, die funktionale und die konstruktive Gestaltung von Gebäuden, den Städte- und Siedlungsbau, die Formung von Landschaften, Infrastrukturen und öffentlichen Räumen. Baukultur ist auch Prozesskultur und betrifft damit ebenso den Weg, der zu einem „guten Ergebnis“ führt sowie Voruntersuchungen und Verhandlungen zur Gestalt der gebauten Umwelt. Ziel des Kodexes ist es, die Verantwortung des immobilienwirtschaftlichen Handelns für die räumlich auf uns wirkende, gebaute Umwelt und die daraus resultierenden Konsequenzen in den Fokus zu stellen. Unternehmen sollen in ihrer baukulturellen Kompetenz wachsen. Im Ergebnis soll durch den jetzt vorliegenden Kodex für Baukultur die Qualität der gebauten Umwelt profitieren.

Es liegt in der Natur der Sache, dass an komplexen Prozessen des Planens und Bauens viele Menschen mit unterschiedlichen Interessen beteiligt sind. Baukultur entsteht da, wo Einzelinteressen in den Hintergrund rücken und im Sinne der Sache gearbeitet wird. Und da, wo kluge und abgewogene Entscheidungen der Bauherrschaft getroffen werden, die auch den gesellschaftlichen und kulturellen Aspekt von Nachhaltigkeit mit umfassen. Das betrifft im Wesentlichen die Berücksichtigung von fünf Faktoren: ökologische und soziale Verträglichkeit, wirtschaftliche Machbarkeit, räumlich gestalterische Qualität für das Bauwerk und sein Umfeld sowie konsensorientierte Planungskultur. Erst wenn diese Faktoren im ganzheitlichen Sinne berücksichtigt werden, entstehen dauerhaft lebenswerte Gebäude und Nachbarschaften. 

Die Umsetzung und die Kriterien

Die Forderungen des Kodex der Baukultur umfassen folgende Aspekte:

Haltung und Werte:

  • Ganzheitliche Baukultur
  • Umsichtiges Handeln bei Neubau und Bestandsentwicklung
  • Wertschätzung bereits bestehender Baukultur

Visionen und Ziele:

  • Bestände nutzen
  • Ressourcen schonen
  • Vielfalt und Mischung fördern

Prozesse und Mittel:

  • Lebenszyklusbetrachtung
  • Qualitätssicherung
  • Kooperative Zusammenarbeit

Prozesse und Mittel

Im Kodex für Baukultur werden die Lebenszyklusbetrachtung, die Qualitätsorientierung und -sicherung sowie die kooperative Zusammenarbeit als zentrale Instrumente zur Umsetzung des Kodex aufgeführt. Eine umfassende Lebenszyklusbetrachtung gegenüber Anfangsrenditen zu priorisieren, ist ein wichtiges Instrument für die Schaffung von dauerhaftem Wert und damit von nachhaltigerem Bauen für Bestandshaltende und die Gesellschaft. Dafür schlägt der Kodex für Baukultur vor, insbesondere die Projektentwicklungsphase (Phase Null) und die Betriebsphase (Phase Zehn) stärker zu berücksichtigt. Zusätzlich werden Gebäude im Kodex als Bestandteile einer Kreislaufwirtschaft verstanden. Den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes zu betrachten, bedeutet, alle Phasen eines Baus bis hin zum Rückbau unter Nachhaltigkeitsaspekten zu betrachten, zu planen und zu optimieren. Dies ist notwendig, um die Treibhausgasemissionen des Bausektors zu reduzieren und zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen zu kommen. Dazu gehört auch die Berücksichtigung der grauen Energie, die vor allem bei der Herstellung und beim Transport von Baumaterialien entsteht und bislang nur selten in der Energie- bzw. Emission- und Kostenbilanz eines Gebäudes erscheint. Hierin die sogenannte goldenen Energie zu erkennen, also den ideellen Wert und baulichen Charakter von Bestandsgebäuden, kann der grauen Energie eine auch gestalterisch inspirierende Zukunftsidee verschaffen. Aber auch beim Neubau sind der dauerhafte Einsatz von Materialien, Gebäuden und Räumen ein Beitrag zu mehr Baukultur, wenn langfristig und qualitätsvoll geplant und gebaut wird. In der Betriebsphase lassen sich durch wertige und langlebige Materialien zudem Kosteneinsparungen realisieren.

Mit dem Kodex für Baukultur verpflichten sich Immobilienunternehmen dazu, qualitätssichernde Planungsverfahren anzuwenden. Zur Operationalisierung bietet sich beispielsweise das „Davos Qualitätssystem für Baukultur“ an, mit dem die baukulturelle Qualität von Gebäuden überprüft werden kann. Dieses Werkzeug zur Qualitätssicherung wurde vom Bundesamt für Kultur (BAK) der Schweiz in Zusammenarbeit mit internationalen Partnern entworfen und stellt acht verschiedene Kriterien auf, deren Umsetzung anhand eines Bewertungsformulars evaluiert werden kann. Der Kriterienkatalog beinhaltet nicht nur ökologische, technische, wirtschaftliche und funktionale Elemente, sondern auch soziale, emotionale und kulturelle Werte.

Angesichts des voranschreitenden Klimawandels sollte der Beitrag des Bau- und Immobiliensektors zu den internationalen Klimaschutzzielen an vorderster Stelle stehen. Dies ist auch für die Zukunft des Bausektors unabdingbar. Denn die Bau- und Immobilienbranche ist für ca. 40 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs und etwa 50 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) betont, dass diese Emissionen bis zum Jahr 2050 um knapp 80 Prozent reduziert werden müssen, damit eine globale Erderwärmung unter 2°C noch erreicht werden kann.

Die Zukunftsfähigkeit der Immobilienwirtschaft hängt also entscheidend davon ab, wie schnell eine ökologisch nachhaltige Transformation des Bausektors umgesetzt wird. Die neue EU-Taxonomie-Verordnung soll Anreize für große Unternehmen schaffen, konsequent nachhaltiger zu wirtschaften. Wollen große Unternehmen mit der EU-Taxonomie übereinstimmen, müssen sie ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten so ausrichten, dass sie mindestens zu einem der sechs festgelegten Umweltziele essentiell beitragen. Insbesondere bei der Umsetzung des ersten Ziels, dem Klimaschutz, gilt es für Unternehmen dann, konkrete Schwellenwerte einzuhalten und die Einstufung ihres wirtschaftlichen Handelns auf Grundlage der Taxonomie-Verordnung zu veröffentlichen. Für Immobilienfirmen, die nicht als „taxonomiekonform“ gelistet werden, entstehen spürbarer Nachteile: Investitionen werden als weniger attraktiv eingeschätzt oder die Werte einer Immobilie sinken.

Für die Bau- und Immobilienbranche wurden bereits konkrete Werte festgelegt, die sowohl Neubaumaßnahmen als auch die Renovierung von Gebäuden sowie individuelle Maßnahmen, professionelle Dienstleistungen und den Erwerb und das Eigentum von Immobilien betreffen. So muss beispielsweise bei einem neuen Gebäude ein Netto-Primärenergiebedarf garantiert werden, der sich mindestens 10 Prozent unterhalb des nationalen Niedrigenergiestandard befindet.

Zur Umsetzung des Kodex für Baukultur ist neben einer Lebenszyklusbetrachtung und einer Qualitätssicherung auch eine kooperative Zusammenarbeit wesentlich. Im Kodex wird Kooperation als lösungsorientierte, aktive Zusammenarbeit formuliert, die Kommunikation und Beteiligung auf Augenhöhe zwischen allen Betroffenen, Nutzern und sonstigen Beteiligten eines Projektes umfasst. Dies gilt in allen Lebensphasen des Gebäudes, insbesondere im vorlaufenden Entwicklungsprozess, der Phase Null. Dafür sollten Immobilienwirtschaft, Bauherrschaft und Bestandshalter ihre gesellschaftliche Verantwortung anerkennen, die ihnen bei der Gestaltung der gebauten Umwelt zukommt.

Den vollständigen Kodex der Baukultur finden Sie hier

Die Autoren des Beitrags sind Karin Barthelmes-Wehr und Reiner Nagel. Der Text wird auch in der IMMOZEIT 01/2022 erscheinen. 

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