Erfurt

Baukultur ermöglicht Orientierung

© Andreas Meichsner
© Andreas Meichsner
© Andreas Meichsner

Um seiner neuen Rolle als ICE-Knotenpunkt gerecht zu wer- den, wurde der Erfurter Hauptbahnhof zwischen 1996 und 2008 von Gössler Kinz Kerber Kreienbaum Architekten (GKKK) aus Hamburg modernisiert. Während das historische Empfangsgebäude saniert wurde, musste ein Inselgebäude zwischen den Gleisen weichen, da man ansonsten für die Kapazitätsausweitung den angrenzenden Gera-Flutgraben hätte überbauen müssen. Heute überspannt eine Stahl-Glas-Konstruktion alle Bahnsteige.

Der Bahnhofsvorplatz sollte zu einem repräsentativen Stadteingang werden. Die im Wettbewerb von 1999 siegreiche Idee des Hamburger Planungsbüros WES Landschafts- Architektur: Der Willy-Brandt-Platz (hier fand die berühmte Szene statt, in der Willy Brandt am Fenster des Hotels „Erfurter Hof“ bejubelt wird) wird zum Salon, zur „guten Stube“ inklusive Parkett und Kronleuchter. Das „Parkett“ ist ein in Streifen verlegter Platzbelag aus leicht glänzendem, aber weich und lebendig wirkendem Bayerwald-Granit, der bis an die historischen Fassaden heranreicht. Verstärkt wird der Eindruck eines Innenraums im Außenraum durch die drei „Kronleuchter“: von Drahtseilen gehaltene Ringe mit sechs Metern Durchmesser. Deren zwölf einzeln ansteuerbare Leuchten können mit unterschiedlichen Lichtfarben verschiedene Helligkeiten und Stimmungen erzeugen. Hinzu kommen die reflektierenden, goldenen Innenseiten der Ringe. Für die Befestigung der Drahtseile an der denkmal- geschützen Fassade des Erfurter Hofs und am Hauptbahnhof waren zwar aufwendige Verhandlungen mit den Eigentümern und Sicherheitsnachweise (zum Beispiel zu Wind- und Schneelasten) erforderlich, doch dafür braucht der Platz keine Masten und Laternen.

Der Straßenbahnverkehr führt gebündelt westlich am Platz entlang, der durch die Verlegung der Haltestelle unter die Bahnunterführung freigehalten werden konnte. Der motorisierte Verkehr (Busse, Taxis, Hotelvorfahrt) konzentriert sich auf der Ostseite. Ursprünglich sollten auch diese Verkehrsflächen mit Granit belegt werden. Mit Vertretern der Stadt unternahm man Exkursionen nach Ludwigshafen, Würzburg und Schweinfurt, wo schon Beispiele für Schwerlastverkehr auf Natursteinbelag existierten. Dennoch konnten die Entscheidungsträger nicht überzeugt werden, sodass die Fahrbahnen in Asphalt ausgeführt wurden. Nichtsdestotrotz erfuhr auch der Busbahnhof eine Gestaltung weit jenseits des Standards. Als metallische und grüne Bänder wechseln sich die gefalteten Haltestellendächer (Architektur: GKKK) mit dichten Platanenreihen ab, wobei auch Überschneidungen entstehen und Bäume das Dach durchstoßen. Die in Form geschnittenen Kronen der „Baumpakete“ beginnen erst in 4,50 Metern Höhe, sodass Sichtbeziehungen für die Fußgänger erhalten bleiben.

Vom Granitbelag ist der asphaltierte Kreisverkehr nur durch eine minimale Kante abgesetzt. Sein Zentrum bildet eine Rotunde, mit einem Abgang zur Tiefgarage unter dem Platz. Eingefasst wird sie von einem ringförmigen Wasserbecken, das skulpturale Wirkung entfaltet. Auch bei den Stadtmöbeln wurde nicht auf Standardware zurückgegriffen: eigens entworfene Lichtmasten für den Busbahnhof; konische Natursteinpoller und asymmetrische Sitzblöcke aus Beton als Abgrenzung zwischen Fußgänger- und Pkw-Bereich. Für den Platz entwarf WES steinerne Sessel und ließ sie vor Ort in Originalgröße bemustern. Letztlich fiel die Wahl aber auf lange Sitzbänke aus Holz. Ansonsten ist der Platz wohltuend aufgeräumt, denn die notwendigen Richtungsweiser für Ankommende befinden sich bereits im Bahnhofsgebäude. Die großen Pflanztöpfe ließ die Stadt später aufstellen, der Mut zum freien Raum wurde an dieser Stelle nicht konsequent umgesetzt. Zur Fertigstellung des Platzes 2009 eröffnete an seinem Westende ein Fahrradparkhaus, 2016 folgte ein weiteres auf der Südseite des Bahnhofs (Architektur von beiden: Osterwold Schmidt). Damit wurde eine Verkehrsdrehscheibe komplettiert, die Fern- und Nahverkehr optimal verknüpft sowie Autos und Fahrrädern angemessenen Parkraum bietet. Im Mittelpunkt steht aber die hochwertige und übersichtliche Gestaltung, die den Fußgänger am wichtigsten nimmt.

Planungszeitraum 1999-2009
Architekt / Planer

WES LandschaftsArchitektur, Hamburg; Gössler Kinz Kerber Kreienbaum Architekten, Hamburg; STP Verkehrsplanung, Erfurt

Größe / Fläche 19.500 m2
Baukosten brutto 6,92 Mio. Euro brutto (Kostengruppe (KG) 500)
Nutzungen Infrastruktur
Stadtplanung
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