Mülheim an der Ruhr

Baukultur vereint Ingenieurbau, Architektur und Nachhaltigkeit

© Annika Feuss
© Annika Feuss
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Der Luftschiffhangar ist seit jeher eine beliebte, identitätsstiftende Landmarke und ein wichtiger Teil der Mülheimer Stadtgeschichte.

Der neue Hangar spiegelt die prägnante Form der Vorgängerbauten unmittelbar wider, jedoch tritt in der äußeren Gestaltung eine zeitgemäße und vollständig recyclebare Aluminiumfassade an Stelle der damals verwendeten Foliendächer. Die feinen vertikalen Linien der Stehfalz-Fassade unterstreichen die klare Form und die sanften Rundungen des Bauwerks und erzeugen je nach Sonnenstand unterschiedliche Lichtreflexe und Schattenspiele. Funktion und Ästhetik werden zu einem skulpturalen, fast schon abstrakt anmutenden Bauwerk kombiniert.

Aufgebrochen wird dies durch das Fensterband, welches sich um die Westseite erstreckt und die Nutzung des zunächst introvertierten wirkenden Baus ablesbar macht. Von außen kann man das Innere, das durch die warm anmutende Holzkonstruktion in Kontrast zum kühlen Äußeren steht, bereits erahnen. Die Glasfuge verleiht der Halle eine gewisse Leichtigkeit und Transparenz, belichtet den Innenraum und eröffnet den Blick großzügig auf das Flugfeld, den Tower und die anderen Flughafengebäude.

Die vollständig geschlossenen Ostseite der Halle entfaltet ihre besondere Wirkung vor allem mit geöffnetem Tor. Die Torflügel öffnen sich, auf einer viertelkreisförmigen Schiene gleitend, wie ein Theatervorhang zu den Seiten. Im geöffnetem Zustand bilden die freistehenden Torflügel gemeinsam mit der Halle ein imposantes Ensemble und eine einzigartige Kulisse für Veranstaltungen verschiedenster Art. Jeder Torflügel erstreckt sich über eine Fläche von 400 m2 und wiegt beachtliche 72 Tonnen. Vier Elektromotoren mit einer Motorleistung von 60 kW (80 PS) erzeugen ein Gesamtantriebsdrehmoment von 88.000 Nm, um die Torflügel zu bewegen. Das Öffnen der Tore nimmt 3 Minuten in Anspruch und schafft einen wirkungsvollen Rahmen für die Inszenierung des ein- und ausfahrenden Luftschiffs.

Mit einer Größe von 90 x 42 m erreicht die Halle die Dimensionen eines Fußballfeldes. Der höchste Punkt des Hangars misst 26 m, der Brutto-Rauminhalt beträgt 71.000m3. Beeindruckend ist er jedoch nicht nur bezüglich der spektakulären Maße, sondern auch in Bezug auf die technischen und konstruktiven Innovationen. Eine der bemerkenswertesten Entscheidungen in diesem Zuge ist die Verwendung von Holz als Hauptbaustoff für die Tragkonstruktion und die Verbindungen.

Dafür steht auch die symbolische „Grundholzlegung“ im Juni 2022. Insgesamt 557 Tonnen Holz aus deutschen Wäldern bilden das Grundgerüst in Form einer Holz- Fachwerkkonstruktion. Die 15 Zweigelenkbögen aus Brettschichtholz haben eine Spannweite von beeindruckenden 42 Metern. Sie sind als Fachwerkträger mit reinen Holzverbindungen konzipiert und besitzen insgesamt 592 Knotenpunkte, deren Verbindungen mittels Holzdübeln in Handarbeit hergestellt wurden. Die über den Trägern liegende Dachtragschale ist aus 10 cm starken, großformatigen Brettsperrholzplatten gefertigt. Sie steift die Konstruktion aus und übernimmt Funktionen wie Schall- und Wärmeschutz. Durch den hohen Vorfertigungsgrad konnte die Montage der Holzkonstruktion innerhalb weniger Wochen erfolgen, so dass das empfindliche Luftschiff nicht zu lange der Witterung ausgesetzt werden musste.

Ganz im Zeichen der Nachhaltigkeit steht auch der Umgang mit den Fundamenten des alten Hangars. Die ursprünglichen Fundamente wurden zerkleinert und direkt vor Ort recycelt. Anschließend konnten sie als Unterbau für den Hallenboden wiederverwendet werden. Die „neue“ Sicht-Bodenplatte besteht aus gebrauchten Beton-Großformatplatten. Diese wurden von einer benachbarten Baustelle in Mülheim recycelt, wodurch Emissionen durch lange Transportwege vermieden werden konnten. Insgesamt konnten durch die gezielte Auswahl von Materialien und die Wiederverwendung von Baustoffen 156 Tonnen CO2 eingespart werden.

Das Projekt vereint Ingenieurbau, Architektur und Nachhaltigkeit auf eindrucksvolle Weise. Es steht für die Symbiose von Innovation und ökologischer Verantwortung und ist ein Wegweiser für die Region.

Ausgezeichnet mit dem Ernst&Sohn Ingenieurbaupreis 2024

Rubrik Infrastruktur
Sonstige
Region Nordrhein-Westfalen
Standort Mülheim an der Ruhr
Bauherr Westdeutsche Luftwerbung - Theodor Wüllenkemper GmbH Co & KG
Planung

Architektur: Smyk Fischer Architekten GbR

Ingenieurbau: Ripkens Wiesenkämper

Ingenieurbau: Marx Krontal Partner – MKP GmbH

Projektbeteiligte

Ausfüfrende Baufirma: DERIX / W.u.J. Derix GmbH

Projektleitung / Brandschutzplanung: IB Römling

Ausführungsplanung / Bauleitung: GRONAU plan GbR

Planung Maschinentechnik: Dr. Schippke+Partner mbH

Maschinen- & Antriebstechnik: INperfektion

Dacheindeckung: B.Schlichter GmbH & Co. KG

Fertigstellung 2022
Planungszeitraum 2019-2022
Größe / Fläche 3.784 m² BGF
Auszeichnung Ingenieurbaupreis von Ernst & Sohn
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