Holstenfleet Kiel

Baukultur verbessert das Stadtklima

© Andreas Meichsner

Wo täglich 12.000 Autos die Fußgängerzone in vier Fahrspuren querten und Busse im Minutentakt hielten, wird heute flaniert, gespielt und pausiert. Anstelle der herben Straßenschlucht zwischen Kieler Altstadt und der Vorstadt im Süden sind zwei Wasserbecken mit attraktiven, weitgehend barrierefreien Ufern entstanden. Mit robustem Holz der nordischen Kiefer beplankte Bänke und Sitzstufen und künstliche Halbinseln laden dazu ein, auf der Sonnenseite der Altstadt am Wasser zu relaxen. Junge Linden und Sumpfeichen säumen die Ufer und spenden Schatten. Ein Schilfgürtel hält das Wasser klar und kühlt die Luft. In amorphen Pflanzinseln, deren Ränder ebenfalls Gelegenheit zum Sitzen geben, wiegen sich Gräser und Verbenen im Wind. Ein Unort ist zur innerstädtischen Oase geworden, die selbst abends nach Geschäftsschluss Menschen anzieht.

Holstenfleet haben die Bürgerinnen und Bürger Kiels die von bgmr Landschaftsarchitekten entwickelte, 170 Meter lange Wasserfläche in der Stadt getauft. Das künstliche Gewässer erinnert daran, dass bis ins 19. Jahrhundert ein Wasserweg zwischen Förde, Bootshafen und Kleinem Kiel die Altstadt zur Halbinsel gemacht hatte. Das letzte Stück Kanal war 1904 zugeschüttet worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Kiel verkehrs- und funktionsgerecht wiederaufgebaut und erhielt eine der ersten Fußgängerzonen der Bundesrepublik. Seit einigen Jahren läuft ein ambitioniertes Revitalisierungsprogramm für die Kernstadt. Inzwischen gibt es dort wieder Wohnungen, neue Hotels und Gastronomie. Mit dem Holstenfleet hat die Stadt einen entscheidenden Schritt zur Verkehrswende getan und zugleich das Klima in der Stadt erheblich verbessert: im konkreten wie im übertragenen Sinne.

Treibende Kraft für die blau-grünen Infrastrukturmaßnahmen war das Tiefbauamt der Stadt. Weil die sechsspurige Straße „Holstenbrücke“ sanierungsbedürftig war, lohnte es sich, über verkehrsberuhigte Alternativen nachzudenken. Einfach war das nicht. Der Individualverkehr musste komplett umgeleitet, die Bushaltestellen verlegt werden. Die Fahrbahn für den öffentlichen Nahverkehr wurde auf die Vorstadtseite verlegt. Dort ist der gesamte Bereich schwellenlos als shared space angelegt. Dem Streifenmuster der gepflasterten Fußgängerbereiche entspricht die ähnlich mit epoxidharzgebundenem Feinsplitt gestaltete Asphaltdecke der Busfahrbahn. Helle Pflasterstreifen markieren beiläufig den Fahrweg, über den noch immer 800 Busse am Tag fahren – im Schritttempo. Durch die übergreifende Gestaltung erscheint die gesamte Fläche vom Bootshafen bis zum Kleinen Kiel als Stadtplatz.

Der Name Holstenfleet täuscht darüber hinweg, dass das neue Gewässer in Betonwannen ruht, die aufwendig mit Bohrpfählen 16 Meter tief gegründet werden mussten. Die Wassertiefe liegt bei 1,50 Meter, am Wasserplatz gibt es Planschbereiche, die nur 40 Zentimeter tief sind. Das Wasser wird aus dem Kleinen Kiel gepumpt, vorgefiltert und dann durch bepflanzte Bodenfilter umgewälzt. So bleibt es dauerhaft sauber.

Ein intensiver Mitwirkungsprozess, den das Hamburger Büro Luchterhandt steuerte, hat dafür gesorgt, dass sich die Bürgerinnen und Bürger heute mit dem umstrittenen Projekt identifizieren. Sie konnten ihre Wünsche auf Zetteln an einem sechs Meter langen Zukunftsmodell mitten in der Stadt anbringen. Es gab Workshops und Planungsspaziergänge. Insgesamt gingen 670 Beiträge ein. Gewünscht wurden unter anderem Spielmöglichkeiten am und im Wasser. Etliches davon haben die Planerinnen und Planer um Landschaftsarchitekt Dirk Christiansen dann auch umgesetzt. Zwei zusätzliche Brücken für den Fuß- und Radverkehr entwarf das Büro Sauerzapfe Architekten.

Mit dem Holstenfleet ist Leben ins Zentrum der Stadt zurückgekehrt. Der Wasserplatz ist beliebter Treffpunkt und inzwischen mehrfach prämiert. In seinem Umfeld haben Geschäftsleute investiert, ihre Häuser modernisiert und neu gebaut.

Rubrik Freiraum
Öffentliches Bauen
Stadtplanung
Open space
Region Schleswig-Holstein
Bauherrin Landeshauptstadt Kiel (Tiefbauamt)
Planung

Landschaftsarchitektur: bgmr Landschaftsarchitekten, Berlin;

Tragwerksplanung: ifb – Frohloff Staffa Kühl Ecker Beratende Ingenieure, Berlin;

Verkerhrsplanung: Ingenieurbüro Obermeyer, Potsdam; Masuch + Olbrisch Ingenieurgesellschaft für das Bauwesen, Oststeinbek;

Objektplanung Brücken: Sauerzapfe Architekten, Berlin

Planungszeitraum 2012-2020
Größe / Fläche 17.000 qm
Baukosten 18,5 Mio. Euro
Auszeichnung Deutscher Landschaftsarchitektur-Preis
Deutscher Ingenieurpreis Straße und Verkehr
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