Tank-und Rastanlage "Leubinger Fürstenhügel"
Baukultur plant partnerschaftlich
Tank und Rastanlagen an deutschen Autobahnen sind Orte des Transits – ohne merkbare Eigenschaften. Wir steuern die immer ähnlichen Strukturen an, um schnell den Tank zu füllen, etwas zum Trinken zu holen oder auf die Toilette zu gehen. Zwischen Bordsteinkante, Grünstreifen und Maschendrahtzaun bleibt für Entspannung und Bewegung wenig Platz. Bei der Tank und Rastanlage „Leubinger Fürstenhügel“ an der A 71 ist alles ganz anders: Geplant als Fenster in die weite Kulturlandschaft des Thüringer Beckens, eröffnet der in gefälteltes Aluminium gehüllte Langhauswinkel einen „Zeitreiseweg“, der über die Grenzen des Geländes hinausführt: Zum größten erhaltenen bronzezeitlichen Grabhügel Mitteleuropas. Auf dieses Bodendenkmal konzentriert sich die ganze Architektur: Wer zum Tanken unter das 45 Meter weit gespannte Portal fährt, hat den Hügel schon im Blick; wer vom Tankshop zum Gastraum geht, wird von einer archäologischen Ausstellung begleitet, ehe sich der mit Weißtanne verkleidete Raum an der Giebelseite vollständig zur Landschaft öffnet. Vom großzügigen, hellen Lokal oder der geschützten Terrasse schauen Besucherinnen und Besucher nicht nur auf blühende Wiesen und Baumrondelle, sondern immer auch auf die etwas entfernte Erhebung. Die richtungsweisende Dynamik der Raststätte verleitet dazu, auf dem mit Betonplatten belegten Zeitreiseweg das Gelände zu verlassen, den Hügel zu umrunden, die Treppen zu seinem Plateau hinaufzusteigen und die Fernsicht zu genießen. Auch in entgegengesetzter Richtung kann man sich entfernen: In den Biotopen der vom Naturschutz geforderten Ausgleichsflächen liegt ein Picknickplatz, den Menschen aus der Umgebung auch mit dem Fahrrad ansteuern. Von der Autobahn ist dort nichts mehr zu hören und zu sehen.
Wie kam es zu so einer außergewöhnlichen Tank und Rast anlage, die sich durch Architektur, Landschaftsgestaltung und Kommunikationsdesign nicht nur als Pausenstation, sondern auch als Lern und Erholungsort, ja sogar als Ausflugsziel empfiehlt? Das Ergebnis verdankt sich einer bisher einmaligen Konstellation, die sehr unterschiedliche Akteurinnen und Akteure zusammenbrachte: 2012 ging die Internationale Bauausstellung Thüringen (IBA) an den Start. Das Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft regte an, die geplante Tank und Rastanlage an der neuen A 71 zu einem Schlüsselprojekt der IBA zu machen. Die DEGES Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs und -bau GmbH, die der Bund mit der Konzessionsvergabe für Bau und Betrieb der Servicestation beauftragt hatte, zeigte sich skeptisch: Welche Konzessionärin, welcher Konzessionär würde sich bereitfinden, an einer wenig befahrenen Strecke auf eigene Kosten eine Tank und Raststätte zu errichten, die besondere baukulturelle Qualitäten hat?
Am Ende arbeiteten DEGES und IBA unterstützt vom Weimarer Büro PAD einen Planungswettbewerb aus, der nur Entwürfe zuließ, die funktionstauglich waren und sich wirtschaftlich umsetzen ließen. In Kooperation mit dem Thüringischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie brachte man den Teilnehmenden die kulturelle Tiefendimension der Landschaft und damit die gewünschte thematische Ausrichtung nahe. Dabei gelang es durch die enge Zusammenarbeit mit der Gemeinde und dem Landkreis Sömmerda, das Planungsgebiet über den Zuständigkeitsbereich der DEGES auszudehnen. Der europaweite Wettbewerb richtete sich an interdisziplinäre Planungsgemeinschaften. Sein Ergebnis von 2015 wurde unverbindlicher Bestandteil der Konzessionsausschreibung. Die Shell Deutschland GmbH verpflichtete sich aus Überzeugung, den ersten Preis umzusetzen: Einen Entwurf von MONO Architekten, Planorama Landschaftsarchitektur und MUS Studio. Dem Bund und dem Freistaat Thüringen oblag die Realisierung der Landschaftsplanung. So singulär die institutionelle Konstellation bei Planung und Realisierung der Anlage gewesen ist, so macht das Ergebnis doch Mut und könnte getrost zum Modell werden. Dann gäbe es in Zukunft mehr Tank und Rastanlagen, die durch ihre Architektur und ihren Landschaftsbezug dazu einladen, länger zu bleiben.
Rubrik | Infrastruktur Öffentliches Bauen Sonstige |
Bauherrin | Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Die Autobahn GmbH des Bundes, diese vertreten durch DEGES Deutsche Einheit Fern straßenplanungs und bau GmbH (Außenanlagen); Shell Deutschland GmbH (Betriebsgrundstück Tank und Rastanlage) |
Planung | MONO Architekten, Berlin |
Projektbeteiligte | Landschaftsplanung: PLANORAMA Landschafts architektur, Berlin Tragwerksplanung: Brückner Dietz GmbH, Darmstadt Bauleitung Außenanlagen (ohne Betriebsgrund- stück): EGL Kassel Projektsteuerung Shell: Artelia GmbH, Hamburg |
Fertigstellung | 2021 |
Planungszeitraum | 2015–2021 |
Größe / Fläche | 2.180 m2 BGF; ca. 23 ha Landschaftsbau |
Baukosten | vertraulich; ca. 3,4 Mio. Euro Landschaftsbau |