Studierendenhaus der TU Braunschweig
Baukultur plant lebensnah flexibel
Beengte Unterkünfte und überfüllte Bibliotheken – für viele Studierende gehört das zum Alltag. Es fehlt an Platz, um konzentriert zu lernen oder in Gruppen zu arbeiten, es fehlen Räume, in denen man den ganzen Tag verbringen möchte, und es fehlen Orte des ungezwungenen Miteinanders, an denen es sich gelegentlich auch feiern lässt. Einen Ort, der all das abdeckt, haben die Architekten Gustav Düsing und Max Hacke auf dem Campus der Technischen Universität Braunschweig geschaffen. Ihr Studierendenhaus steht in der Tradition moderner Pavillonbauten: Rundum gläsern mit einem filigranen Tragwerk aus Stahl. Außen ist innen und innen ist außen. Der Standort zwischen dem alten Hauptgebäude, dem Audimax von Friedrich Wilhelm Kraemer und dem Fluss Oker macht diese Lern und Lebensinsel zu einem Fixpunkt, wenn nicht gar zum Zentrum des Campuslebens. Schon der Start war außergewöhnlich. Die Architekturfakultät brauchte Zeichensäle. Um den Nachwuchs zu fördern, schrieb sie einen Wettbewerb unter den wissenschaftlichen Mitarbeitenden aus, den Düsing und Hacke gewannen. Ihr Entwurf bot nicht nur Arbeitsplätze, er war völlig nutzungsoffen. Bis dieser Entwurf gegen alle Widrigkeiten und Sparzwänge realisiert werden konnte, verging Zeit. Zeit, in der der Corona-Lockdown die Einsicht stärkte, dass eine Universität, die sich als gesellschaftsbildende Institution behaupten will, ihren Studierenden einen hochwertigen Ort bieten sollte, um zusammenzukommen.
Mit dem Ingenieurbüro knippershelbig entwickelten die Architekten einen Systembau, der überall einsetzbar wäre und sich auch wieder zerlegen lässt. Die Konfigurationsmöglichkeiten des Systems sind grenzenlos. Dafür sorgen tragende Stahlhohlprofile, die mit einem Querschnitt von zehn mal zehn Zentimetern äußerst schlank ausfallen. Das Haus lässt sich durch die verdeckten Schraubanschlüsse der Elemente jederzeit neuen Bedürfnissen anpassen.
Der Leichtbau steht auf einer dünnen Betonplatte; die Außenstützen des drei Meter breiten Dachüberstands und der Balkone haben Punktfundamente. Ausgesteift wird das Haus durch einen massiven Kern und die Treppen, die das Gebäude innen wie außen von allen Seiten erschließen. Das relativ enge Raster von drei mal drei Metern fällt dank der filigranen Struktur nicht auf. Die raumhohen Fenster, große Deckenöffnungen und eine Lichtkuppel auf dem Dach bringen Tageslicht an jeden Arbeitsplatz. Und von jedem Platz blickt man ins Grüne und auf den Campus. Teppichböden, eingehängte Holzdecken, schallabsorbierende Pinnwände am Gebäudekern, schwere Vorhänge und Steinwolle in den Hohlräumen der Trapezbleche des Dachs sorgen trotz aller Offenheit für eine hervorragende Akustik. An einem Tisch wird diskutiert, in der sonnigen Gebäudeecke geplaudert, während direkt daneben andere konzentriert lernen. Ein gedämpftes stimmliches Grundrauschen spinnt einen Kokon um alle Anwesenden. 160 Arbeits und Verweilplätze bietet der 900 Quadratmeter große Allraum. Im Obergeschoss lässt sich ein Veranstaltungsraum abtrennen. Studierende der Architektur finden dort seit April 2023 Ersatz für fehlende Plätze in den Zeichensälen. Bei schönem Wetter bieten die Balkone Gelegenheit, es sich im Grünen bequem zu machen. Hohe Bäume rings ums Haus sorgen im Sommer für kühlen Schatten. Im Winter profitiert das Haus thermisch vom Sonneneintrag. Wie alle Unigebäude ist es an das Braunschweiger Fernwärmenetz angeschlossen, das sich zu 70 % aus erneuerbaren Energiequellen speist. Klappbare Oberlichter sorgen im Zusammenspiel mit der Lichtkuppel für ausreichenden Luftwechsel.
Gustav Düsing ist der festen Überzeugung: So ein flexibles Gebäude braucht jede Universität, um die Lebensqualität der Studierenden zu heben. Ob er recht hat, wird die Zukunft zeigen: Das Haus in Braunschweig ist ein Prototyp im Praxis test.
Rubrik | Arbeiten Infrastruktur Sonstige Öffentliches Bauen |
Region | Niedersachsen |
Bauherrin | Technische Universität Braunschweig |
Planung | Gustav Düsing & Max Hacke, Berlin |
Projektbeteiligte | Tragwerksplanung: knippershelbig, Berlin Technische Gebäudeausrüstung, Akustik, Energieplanung: energydesign, Braunschweig Generalunternehmer/Bauleitung: iwb Ingenieure Generalplanung GmbH & Co. KG, Braunschweig |
Fertigstellung | 2022 |
Planungszeitraum | 2016-2022 |
Größe / Fläche | 1.000 m2 |
Baukosten | 5,2 Mio. Euro |