Fuldatalbrücke Bergshausen

Baukultur ertüchtigt Brücken

© Till Budde

Spätestens seit der Sperrung und anschließenden Sprengung der Talbrücke Rahmede auf der A 45 bei Lüdenscheid dürfte allen bewusst sein, was es für den regionalen und überregi­ onalen Verkehr bedeutet, wenn eine Brücke im Bundesfern­ straßennetz ausfällt: Autos und Lkw quälen sich durch die Landschaft und durch kleine Orte im Tal. Es kommt zu end­ losen Staus und Belastung durch Lärm und Abgase.

An die 4.000 Brücken sollen bis 2032 in einem ersten Teilnetz an wichtigen Autobahnen saniert oder erneuert werden. Eine davon ist die Fuldatalbrücke Bergshausen. Am Autobahn­ kreuz Kassel zweigt die A 44 in Richtung Westen nach Dort­ mund ab. Es ist eine Strecke mit starkem Güterverkehr. Gleich nach dem Kreuz quert die 700 Meter lange Stahlbrücke in 55 Metern Höhe das Tal der Fulda. Gebaut wurde sie in zwei parallelen Zügen 1962 und 1971. Die Konstruktion aus Stahl­ fachwerk ruht auf Hohlkastenpfeilern aus Stahlbeton. Eine Besonderheit sind die Fahrbahnen. Sie bestehen aus stäh­ lernen Fahrbahnplatten, die an ihrer Unterseite in Längs­ und Querrichtung durch Stahlprofile versteift werden. Diese

Fahrbahnbauweise mit einem Brückenfachwerk zu kombi­ nieren, war 1962 ein Novum.
Obwohl die äußerst schlanke und materialsparende Brü­ ckenkonstruktion dadurch ihren Platz in der Geschichte der

Technik hat, lässt sie sich wohl nicht erhalten. Die statischen Defizite für den heutigen Verkehr sowie Ermüdungserschei­ nungen insbesondere in den Verbindungspunkten sind zu gravierend. Die Achslasten des heutigen Schwerlastverkehrs und die Häufigkeiten der Überfahrten erzeugen Spannungs­ schwankungen, die beim Bau der Brücke nicht vorstellbar waren. Vor allem am nördlichen Überbau gibt es deshalb inzwischen so erhebliche statische und konstruktive Mängel und auch Schäden, dass der Aufwand einer langwierigen Reparatur in keinem Verhältnis zum Nutzen stünde. So ist der Abriss seit 2008 beschlossene Sache. Doch eine Sper­ rung der A 44 an dieser Stelle käme zur Unzeit. Wenigstens bis 2028 das planungsrechtliche Verfahren abgeschlossen sein wird, sollte die Stand­ und Verkehrssicherheit des Bau­ werks gewährleistet bleiben.

Die Ingenieur-Gruppe Bauen und WTM Engineers entwickel­ten dafür nach gründlichen Voruntersuchungen eine ele­gante Lösung: Die kritische nördliche Brücke entlasten heute neue Unterspannungen. Dafür wurden unter den Stahlfach­werkträgern Stahl-­Seil-­Konstruktionen mit Spannankern angebracht, die als Tief­- und Hochpunkte der Seilführung dienen. Die Vorspannung erfolgt beidseits der Hochpunkte, an den Tiefpunkten werden die entlastenden Vertikalkräfte in den Überbau eingeleitet. So fängt die Unterspannung nicht nur die Last des Verkehrs, sondern auch Eigengewichtslas­ten ab und führt zu einer erträglichen Entlastung der Knoten des Stahlfachwerks. An der südlichen, jüngeren und weniger stark beanspruchten Trasse reichte es, die Untergurte kon­ventionell mit Blechen zu verstärken, Nieten auszuwechseln und defekte Verbindungen zu schweißen, um die Tragfähig­keit bis 2028 sicherzustellen. Zur Sicherheit wird laufend geprüft, ob das Bauwerk Risse oder andere Veränderungen zeigt.

Den Grundstein zu der Ingenieurbaukunst, mit der die Fulda­talbrücke gerettet wurde, hatte Fritz Leonhardt in den 1970er­ Jahren mit seiner seilunterspannten Neckartalbrücke Weitin­gen gelegt. Die Schrägseilunterspannung der Fuldatalbrücke war für den Übergangszeitraum nicht nur die wirtschaftlichste Lösung. Sie ließ auch das schlanke Erscheinungsbild des Bauwerks weitgehend unberührt. Grundsätzlich lassen sich auch Brücken anderer Bauart in dieser Form ertüchtigen, bestätigt der Entwurfsingenieur Alfred Krill. Sofern keine gra­vierenden Ermüdungserscheinungen vorliegen, könnte das sogar eine dauerhafte Lösung sein. In diese Richtung muss nun weiter geforscht werden, um eindrucksvolle, landschafts­prägende Werke der Ingenieurbaukunst trotz wachsender Verkehrslasten über die Zeiten zu retten – und die riesigen Mengen belasteter Abfälle aus dem Straßenbau zu verringern.

Rubrik Infrastruktur
Öffentliches Bauen
Stadtplanung
Region Hessen
Bauherrin Bundesrepublik Deutschland vertreten durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur; Land Hessen, vertreten durch Hessen Mobil
Planung

Ingenieurgruppe Bauen, Karlsruhe; WTM Engineers GmbH, Hamburg

Projektbeteiligte

Generalunternehmer/Bauleitung: Hessen Mobil Straßen und Verkehrsmanagement, Kassel 

Bauausführung: SEH Engineering GmbH, Hannover 

Prüfingenieur: Prof. Dr.­ Ing. K. Geißler, Dresden

Fertigstellung 2019
Planungszeitraum 2016-2019
Größe / Fläche 17.782 m2 Brückenfläche; 698,96 m Gesamtstützweite
Baukosten 16 Mio. Euro
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